Liberale gewinnen Wahlen in Libyen
Tripolis/Istanbul (dpa) - Keine Chance für Islamisten: In Libyen haben sich liberale Kräfte bei der ersten freien Parlamentswahl seit Jahrzehnten durchgesetzt. Der Westen lobt den demokratischen Aufbruch nach Jahrzehnten der Gaddafi-Diktatur.
Wahlleiter Nuri al-Abbar gab in der Nacht zum Mittwoch in Tripolis das vorläufige amtliche Endergebnis bekannt. Danach belegt die Allianz der Nationalen Kräfte des früheren Übergangsregierungschefs Mahmud Dschibril 39 der insgesamt 80 Sitze, die für Parteien reserviert waren.
Die von den Muslimbrüdern gegründete Partei für Gerechtigkeit und Aufbau wurde mit 17 Mandaten zweitstärkste Kraft. Die Nationale Partei von Abdelhakim Belhadsch, der dem Lager der radikal-islamischen Salafisten nahesteht, konnte trotz eines sehr professionell geführten Wahlkampfes keinen einzigen Sitz erringen. Die restlichen Mandate für Listenkandidaten gingen an kleinere Parteien, die zum Teil nur in einigen Städten angetreten waren und maximal drei Sitze erhielten.
Von den insgesamt 200 Mandaten waren 120 für Direktkandidaten reserviert. Es wird erwartet, dass sich einige von ihnen in den nächsten Tagen den Fraktionen der Parteien anschließen. Unter den Direktkandidaten sind viele ehemalige Oppositionelle, die unter Ex-Diktator Muammar al-Gaddafi entweder politische Häftlinge waren oder ins Exil geflohen waren. Von den 120 Direktmandaten ging nur ein einziges an eine Frau. Die siegreiche Abgeordnete stammt aus Bani Walid, einer ehemaligen Hochburg der Gaddafi-Anhänger.
Dass trotzdem 33 der insgesamt 200 Mitglieder des Allgemeinen Nationalkongress Frauen sind, liegt am Wahlgesetz, das den Parteien vorgeschrieben hatte, auf ihren Kandidatenlisten jeden zweiten Platz für eine Frau zu reservieren.
Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) beglückwünschte das Land zur erfolgreichen Parlamentswahl: „Millionen von Wählern haben mit ihrer Stimme den Grundstein für den demokratischen Aufbruch ihres Landes gelegt“, sagte Westerwelle nach Angaben seines Sprechers in einem Telefonat mit Dschibril. Für den weiteren Aufbau eines demokratischen Rechtsstaates sicherte Westerwelle deutsche Unterstützung zu. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sprach von einem beeindruckenden Schritt beim Übergang Libyens zur Demokratie.
Die Allianz von Dschibril hatte sich im Wahlkampf zwar deutlich von der Ideologie des politischen Islam abgegrenzt, deren Anhänger bei den Wahlen in den Nachbarländern Tunesien und Ägypten die meisten Stimmen erhalten haben. Gleichzeitig betonten Vertreter der Nationalen Allianz jedoch, eine moderate Interpretation des Islam sei für alle Libyer ein wichtiger Bestandteil ihrer Kultur und Lebensart.
Nach Angaben von Al-Abbar hatten bei der Wahl am 7. Juli 62 Prozent der insgesamt rund 2,8 Millionen registrierten Wähler ihre Stimme abgegeben. 61 Prozent der Wähler waren Männer.
Mahmud Dschibril war im vergangenen Jahr Ministerpräsident der ersten Übergangsregierung. Der Ökonom, der unter Gaddafi versucht hatte, wirtschaftliche Reformen anzustoßen, hatte zudem dazu beigetragen, im Westen Verbündete für die Revolution zu finden.
Der Allgemeine Nationalkongress löst den Übergangsrat ab, den Funktionäre und Aktivisten während der Revolution informell gebildet hatten. Die Abgeordneten sollen eine neue Übergangsregierung ernennen und die Wahl eines 60-köpfigen „Rates der Weisen“ vorbereiten, der dann eine Verfassung für das nordafrikanische Land schreiben soll. Unter Gaddafi, der nach mehr als 40 Jahren Herrschaft im vergangenen Jahr erst von der Macht vertrieben und dann von Rebellen getötet worden war, gab es weder eine Verfassung noch Wahlen oder Parteien.