Libyens blutiger Kampf um Freiheit

Muammar al-Gaddafi ist möglicherweise schon auf der Flucht. Sein Sohn Saif al-Islam versucht, den Aufstand zu beenden.

Tripolis. Wenn ein besonders brutales Regime wankt oder gar stürzt, dann ist die Übergangsphase in der Regel genauso grausam wie das Regime selbst. In Ägypten, wo etwa 80 Millionen Einwohner leben, starben 365 Menschen in den Tagen des Volksaufstandes. In Tunesien gab es rund um den Abgang von Präsident Ben Ali 219 Tote. In Libyen, wo nur 6,5 Millionen Menschen leben, wurden in den vergangenen fünf Tagen schon schätzungsweise 400 Menschen getötet. Und ein Ende des Blutbades ist noch nicht abzusehen.

Während in der Hauptstadt Tripolis Ministerien brennen und sich die Armee in der zweitgrößten Stadt Bengasi mit den Aufständischen verbrüdert, wirken die Bemühungen des Gaddafi-Clans, das Ruder doch noch herumzureißen, hilflos und konfus. Vater Muammar al-Gaddafi lässt sich seit Tagen nicht mehr in der Öffentlichkeit blicken. Seit Beginn des Aufstandes ist er nur einmal aufgetaucht, um sich bei einer Pro-Gaddafi-Demonstration in Tripolis von seinen Anhängern feiern zu lassen. Gesprochen hat er nicht. Dafür hielt Saif al-Islam, der von allen Gaddafi-Söhnen noch das größte rhetorische Talent hat, in der Nacht zu Montag eine Fernsehansprache, in der er alle Register zog.

Er versuchte, den Libyern Angst zu machen. Er behauptete, die Aufständischen seien alle militante Islamisten. Er drohte mit Bürgerkrieg und mit der Rache des Westens. „Ihr glaubt doch wohl nicht ernsthaft, dass die Europäer, die USA und die Nato islamische Emirate an der Küste des Mittelmeeres dulden werden? Nein, ich versichere euch, dass die Flotten der Amerikaner und Europäer auf dem Weg zu euch sind und dass sie euer Land besetzen werden. Sie werden dieses ganze Chaos beenden.“

Saif al-Islam warnte, ein Umsturz würde den wirtschaftlichen Ruin des Landes bedeuten, „denn die Öl-Firmen und die Ausländer werden Libyen alle verlassen“. Doch der Gaddafi-Sohn hatte nicht nur die Peitsche dabei, sondern auch Zuckerbrot. „Lasst uns morgen eine neue Republik des Volkes gründen“, rief er den Libyern zu und versprach ihnen Reformen, mehr lokale Selbstverwaltung, einen neuen Staat.

Doch den Geist der Revolution kann Saif al-Islam damit nicht mehr einfangen. Die Aufständischen zünden trotzdem weiter Regierungsgebäude an.

Eine Stadt nach der anderen entgleitet der Kontrolle von Polizei und Armee. Auf der Facebook-Website der Aufständischen wird die Ansprache von Gaddafi junior am Montag mit den Worten kommentiert: „Du Glatzkopf, du Lügner, das libysche Volk hat keine Angst.“