Eskalation in Libyen: Gaddafi führt Krieg gegen das eigene Volk

Revolte: Das Regime schlägt die Proteste blutig nieder. In Bengasi sprechen Augenzeugen von einer „Hölle“.

Tripolis. „Es ist die Hölle”, berichten Einwohner aus Bengasi, mit 700 000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Libyens. „Hier wird ein Massaker verübt.“ Die Truppen von Diktator Muammar al-Gaddafi (68) zielten auf alles, was sich auf den Straßen bewege. Von überall werde geschossen, auch mit Maschinenpistolen und Granaten. Die Stadt sei „eine Kriegszone“, hieß es am Sonntag.

Die Augenzeugenberichte, welche vor allem vom arabischen TV-Sender Al Jazeera, dem arabischen Dienst des britischen Rundfunks BBC und von der libyschen Opposition verbreitet werden, zeichnen eine dramatische Lage in Bengasi, dem Epizentrum der Opposition gegen Gaddafi. Lokalen Berichten zufolge soll es allein in dieser Stadt, die etwa 1000 Kilometer östlich der Hauptstadt Tripolis an der Küste liegt, hunderte von Toten und tausende von Verletzten gegeben haben. „Die Lage ist total außer Kontrolle“, berichteten Italiener, die sich in Bengasi aufhalten. Einwohner sprachen von „vielen Toten“, die auf den Straßen liegen.

Die vor einer Woche in Bengasi ausgebrochenen Proteste gegen Gaddafi, der seit 42 Jahren im Öl-Wüstenstaat Libyen herrscht, haben sich inzwischen über das ganze Land, in dem 6,5 Millionen Menschen leben, ausgebreitet. Auch aus Misratah, mit 450 000 Einwohnern drittgrößte Stadt Libyens, werden blutige Straßenschlachten gemeldet. Genauso wie aus Al Bayda (300 000 Einwohner) in der Nähe von Bengasi. Nur die Hauptstadt Tripolis mit ihren 1,6 Millionen Einwohnern blieb bisher von größeren Unruhen verschont.

Der Osten Libyens war schon immer eine Hochburg der Opposition. Gaddafi bestrafte deswegen systematisch diese Region, indem er ihr notwendige Milliarden-Investitionen in Bildung, Gesundheit, Wohnung und Arbeitsplätze verweigerte. Auch am Sonntag sorgte Gaddafis Informationsblockade dafür, dass nur Bruchstücke des Revolutionsdramas an die Öffentlichkeit kamen. Das Regime unterbrach schon vor Tagen vielerorts Strom, Internet, Mobilfunk und Telefon, um den Krieg gegen das Volk ungestört führen zu können.

Weder libysche noch ausländische Journalisten dürfen aus den Krisenregionen, in denen die Massenproteste immer mehr in einen Bürgerkrieg umschlagen, berichten. Die Eskalation der Lage in dem Land, das die größten Erdölvorkommen Afrikas hat und wo viele europäische Unternehmen tätig sind, besorgt zunehmend den Westen. Viele europäische Länder bereiten die Evakuierung ihrer Landsleute aus Libyen vor. Europa ist der wichtigste Abnehmer des libyschen Erdöls und Erdgases.