Merkel spricht klar von „Krieg“ in Afghanistan

Masar-i-Scharif (dpa) - Mit dem Einsatz in Afghanistan kämpfen deutsche Soldaten nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erstmals seit 1945 wieder in einem Krieg.

Bei einem Truppenbesuch im nordafghanischen Kundus und Masar-i-Scharif sagte sie deutlich wie nie zuvor: „Wir haben hier nicht nur kriegsähnliche Zustände, sondern Sie sind in Kämpfe verwickelt, wie man sie im Krieg hat. (...) So etwas kannten wir seit dem Zweiten Weltkrieg nicht. (...) Ich finde, das sollte man beim Namen nennen.“

Der tragische Tod eines jungen Soldaten überschattete diese dritte Afghanistanreise der Kanzlerin nach 2007 und 2009. Merkels Besuch stand unter höchsten Schutzmaßnahmen. Wegen der Anschlagsgefahr verließ sie die Feldlager nicht. Ein Taliban-Selbstmordkommando griff am Sonntag ein Rekrutierungszentrum der afghanischen Armee in Kundus an. Nach offiziellen Angaben starben fünf Sicherheitskräfte.

Merkel erklärte: „Wenn man sich mit der Realität unserer Soldaten befasst, ist das eben in der Region Kundus so, dass sie in wirklichen Gefechten stehen - so wie Soldaten das in einem Krieg tun.“ Sie wurde von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und Bundeswehrgeneralinspekteur Volker Wieker begleitet.

Die Äußerungen der Kanzlerin zum Krieg in Afghanistan nahm der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, zum Anlass, den sofortigen Abzug aller Bundeswehrsoldaten zu fordern. Dies sei die einzig mögliche Konsequenz aus der Erklärung der Kanzlerin, sagte Gysi der „Berliner Zeitung“ (Montag). Die große Mehrheit der Bundesbürger habe dies schon lange gewusst und für diese Erkenntnis nicht so lange benötigt wie die Kanzlerin, sagte Gysi.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) beharrte auf dem Abzug der Bundeswehr bereits ab 2011. Merkel stellte klar: „Das setzt voraus, dass die Lage auch so ist, dass man das verantworten kann.“

Bei der Gedenkfeier für den am Freitag getöteten 21-jährigen Hauptgefreiten sagte Merkel vor 800 Soldaten der Internationalen Afghanistan-Schutztruppe Isaf: „Ein besonders tragisches Unglück hat ihm das Leben genommen nach einem Einsatz mit vielen Gefahren. Er hatte ihn heil überstanden.“ Der Hauptgefreite war aus einem Einsatz zurückgekommen und wurde nach ersten Untersuchungen beim anschließenden Reinigen der Waffen durch den versehentlich ausgelösten Schuss eines Kameraden getötet.

Merkel sagte: „Es ist grausam, eine Woche vor Weihnachten die Nachricht vom Tod des geliebten Sohnes, des geliebten Bruders zu bekommen.“ Die Anteilnahme der Regierung komme von Herzen. „Und doch wissen wir, dass sie kaum Trost sein kann.“

Guttenberg sagte der Nachrichtenagentur dpa, die Familie des Toten werde alle nur denkbare Hilfe bekommen. Er wandte sich aber auch an den anderen Soldaten: „Selbstverständlich ist es auch eine Herzensfrage, diesen Kameraden, von dem das Unglück ausging, und seine Familie aufzufangen.“ Militärpfarrer Thomas Balogh sagte: „Es war kein Kampf, wo es einen klaren Bösen gibt - das könnten wir eher verarbeiten, sondern der, der es tat, ist ja gerade nicht böse.“

Westerwelle sagte der „Bild am Sonntag“: „Im nächsten Jahr werden wir mit der Übergabe der Verantwortung an die Afghanen beginnen. Ende 2011 wollen wir zum ersten Mal unser Bundeswehrkontingent reduzieren.“ Damit geht er einen Schritt auf die SPD zu, die dies fordert. Im Januar entscheidet der Bundestag über die erneute Verlängerung des Mandats für den Afghanistan-Einsatz. Es erlaubt die Stationierung von bis zu 5350 Soldaten. Derzeit sind rund 4700 dort.

Guttenberg hatte dagegen davor gewarnt, sich auf ein konkretes Abzugsdatum festzulegen. Isaf-Sprecher Josef Blotz sagte der dpa zum Abzugsprozess: „Wenn Sie als Feuerwehr einen Brand in einem Hochhaus bekämpfen, dann sagen Sie ja auch nicht, um 19 Uhr ist Feierabend, egal, ob es dann noch brennt.“ Merkel sagte, die Regierung sei sich einig, dass erste Soldaten erst dann Afghanistan verließen, wenn es verantwortbar sei. Ein erster möglicher Termin sei „Ende 2011/2012“.

2014 soll die Verantwortung für die Sicherheit ganz an die afghanische Polizei und Armee übergehen. Das ist der erklärte Wille der Bundesregierung, der Isaf und von Afghanistans Präsident Hamid Karsai. Kritiker glauben nicht, dass Afghanistan dann schon für seine Sicherheit sorgen kann.

Merkel kam in Masar-i-Scharif mit Karsai und Isaf-Kommandeur David Petraeus zusammen. Vor dem Treffen sagte Merkel, sie wolle mit Karsai über Verwaltungsaufbau und Korruption sprechen. „Die Fortschritte sind hier noch nicht so, wie wir uns das vorstellen.“ Nach dem Gespräch sagte sie auf die Frage, ob Karsai versprochen habe, gegen die Korruption vorzugehen: „Er hat konkret ehrlich gesagt gar nichts versprochen.“ Karsai nannte Merkel „eine sehr gute Freundin“.

Merkel sprach den Soldaten ihre Anerkennung aus. „Der Grund, warum ich auch hier bin, ist Ihnen Dankeschön zu sagen“, sagte sie in Kundus. „Wir wissen, dass das eine extrem gefährliche Sache ist und sich viele noch lange nach dem Einsatz damit rumplagen, was sie hier erlebt haben.“ Das militärische Engagement am Hindukusch diene auch der Sicherheit Deutschlands. „Ohne Sie könnten wir nicht so sicher leben, und das müssen wir den Menschen auch sagen“.

Merkel hat das Wort „Krieg“ im Zusammenhang mit dem Einsatz in Afghanistan bereits früher verwendet, aber nie so direkt wie bei diesem Truppenbesuch. Im November hatte sie vor Generälen gesagt, sie habe alles Verständnis dafür, wenn Soldaten sogar davon sprächen, dass sie „partiell ... in einem Krieg“ seien.

Zur ablehnenden Haltung vieler Bundesbürger zum Einsatz sagte sie am Samstag vor den Soldaten in Kundus: „Die Bevölkerung sieht diesen Einsatz zum Teil skeptisch, und trotzdem ist sie stolz auf Sie.“ 2010 kamen acht deutsche Soldaten bei Anschlägen und Gefechten in Afghanistan ums Leben - mehr als je zuvor.