Merkel will von Obama Antworten zum US-Spionageskandal

Hongkong/Washington (dpa) - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) macht den Skandal um massive US-Spionage im Internet zur Chefsache. Merkel will das Thema bei ihrer Begegnung mit Präsident Barack Obama zur Sprache bringen.

Obama erwarte dadurch aber keine Belastung des Treffens, sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney. Der US-Präsident kommt Dienstag und Mittwoch kommender Woche zu einem Kurzbesuch nach Berlin.

Auch die EU-Kommission zeigte sich besorgt und verlangte von Washington Aufklärung. Der 29-jährige Ex-Geheimdienstler Edward Snowden berichtete von einer ausufernden Überwachung des Internets durch den US-Abhördienst NSA. Er floh mit geheimen Papieren nach Hongkong und hofft auf Asyl in einem Land, das ihn nicht an die USA ausliefert.

Das Weiße Haus lehnte es ab, sich zu Snowden zu äußern. Carney verwies auf laufende Ermittlungen des US-Justizministeriums. Carney bekräftigte lediglich allgemein, dass die Überwachungsprogramme legal seien. Obama habe sich bemüht, dabei die richtige Balance zwischen den Sicherheitsanforderungen und der Privatsphäre einzelner zu finden und glaube, dass ein angemessenes Gleichgewicht gefunden worden sei.

Snowden hatte sich am Sonntag in einem Interview mit der britischen Zeitung „The Guardian“ selbst enttarnt. Er zeichnete eine Dimension der Datensammlung, die bisherige Vorstellungen sprengt: „Die NSA hat eine Infrastruktur aufgebaut, die ihr erlaubt, fast alles abzufangen.“ Damit werde der Großteil der menschlichen Kommunikation automatisch aufgesaugt.

Er wolle mit dem Geheimnisverrat die ausufernde Überwachung öffentlich machen, sagte Snowden. Er suche nun „Asyl in jedem Land, das an Redefreiheit glaubt und dagegen eintritt, die weltweite Privatsphäre zu opfern“, erklärte Snowden der „Washington Post“.

Auf Asyl in seinem Wunschziel Island hat er jedoch vorerst keine Chance. Ein Asylverfahren könne nur eingeleitet werden, wenn sich der Antragsteller im Land selbst befinde, betonte ein Sprecher des isländischen Innenministeriums.

Zugleich könnte Snowden aber auch mit einem Asylantrag in der Hafenmetropole Hongkong viel Zeit gewinnen. Er könne sich auf diese Weise zumindest vorübergehend gegen einen Auslieferungsantrag aus den USA wehren, erklärte der Asienexperte der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in Hongkong, Nicholas Bequelin, der Nachrichtenagentur dpa.

Bislang scheint Snowden aber keinen Asylantrag gestellt zu haben. Der „Guardian“-Reporter, der ihn in einem Hongkonger Hotel interviewt hatte, sagte der „South China Morning Post“, es habe bislang keinen Kontakt zwischen Snowden und den Behörden Hongkongs oder der USA gegeben. Der „Washington Post“ zufolge verließ ein Gast Namens Edward Snowden das Hotel Mira in Hongkong am Montag.

In Washington wurden erste Rufe nach einer Auslieferung Snowdens laut. Der Republikaner Peter King, Mitglied im Geheimdienstausschuss des Abgeordnetenhauses, forderte, erste Schritte für eine Überstellung in die USA einzuleiten. Er rief außerdem zu einer „Strafverfolgung mit der vollen Härte des Gesetzes“ auf, sollten die anlaufenden Ermittlungen Snowden als Informanten bestätigen.

Dagegen unterzeichneten bis Montagnachmittag mehr als 22 000 US-Bürger online eine Petition, in der eine Begnadigung Snowdens gefordert wird. Er sei ein Held, heißt es in dem Text.

In Brüssel kündigte eine Sprecherin an, EU-Justizkommissarin Viviane Reding werde die Datensammel-Operation und die Frage des Datenschutzes beim nächsten Ministertreffen zwischen der EU und den USA am Donnerstag und Freitag in Dublin ansprechen. „Die Europäische Kommission ist besorgt über die möglichen Konsequenzen für die Privatsphäre von EU-Bürgern und wird die US-Behörden um Details zu diesem Thema bitten.“

Der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert sagte: „Das ist natürlich ein Sachverhalt, der sehr gründlich geprüft werden muss.“ Bis zu Obamas Deutschland-Besuch sei der Sachverhalt hoffentlich geklärt. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kritisierte das Vorgehen der US-Regierung. Im Bayerischen Rundfunk sagte sie: „Ich finde die Dimension besorgniserregend.“

Snowden war nach eigenen Angaben die vergangenen vier Jahre als Mitarbeiter externer Unternehmen bei der NSA tätig. Laut den von ihm enthüllten Dokumenten sammelt der US-Geheimdienst in großem Stil Daten bei Internet-Diensten wie Google, Facebook, Microsoft, Apple und Yahoo. Das Programm trägt demnach den Codenamen „PRISM“.

Die USA weisen alle Berichte über ein flächendeckendes Abgreifen von Daten zurück. Alle Informationen würden nur gezielt und auf Basis von Gerichtsbeschlüssen gesammelt. Laut Medienberichten werden die Anträge allerdings von einem geheimen Gericht bewilligt und können bis zu eine Jahr gültig sein. Die genannten Internet-Unternehmen bestritten ausdrücklich, den Behörden direkten Zugang zu ihren Servern zu gewähren.