In der Türkei angeklagt Mesale Tolu: „Freue mich nicht wirklich über die Ausreise“
Stuttgart (dpa) - Die in Ulm geborene Journalistin Mesale Tolu ist nach langer Haft und Ausreisesperre in der Türkei in die Heimat zurückgekehrt. Sie landete am Sonntag auf dem Stuttgarter Flughafen.
Über die Rückkehr könne sie sich aber nicht wirklich freuen, sagte Tolu am Flughafen nach ihrer Ankunft. „Weil ich weiß, dass sich in dem Land, in dem ich eingesperrt war, nichts verändert hat.“ Sie sei zwar wieder hier, aber Hunderte Journalisten, Oppositionelle, Anwälte und Studenten seien immer noch in der Türkei inhaftiert. Tolu kündigte an, sich weiter für diese Menschen einsetzen zu wollen.
Die Journalistin, die für die linke Nachrichtenagentur Etha arbeitete, hatte in der Türkei mehr als sieben Monate lang wegen Terrorvorwürfen im Gefängnis gesessen - die Türkei wirft ihr Unterstützung der verbotenen linksextremen Gruppe MLKP vor. Nach ihrer Freilassung im Dezember durfte sie zunächst nicht ausreisen. Tolus Prozess in der Türkei wird ungeachtet ihrer Ausreise fortgeführt. Auch ihr Ehemann Suat Corlu ist angeklagt. Seine Ausreisesperre ist nicht aufgehoben, er muss in der Türkei bleiben.
Mit versteinerter Miene und fester Stimme berichtete Tolu nach ihrer Landung von einer monatelangen Tortur in der Türkei. Wie türkische Polizisten in einer Nacht im April 2017 ihre Wohnung schwer bewaffnet gestürmt hätten. Wie sie gewaltsam zu Boden gedrückt, bedroht und beschimpft worden sei. Wie eine Waffe auf ihren kleinen Sohn gerichtet worden sei. Wie ihr in der anschließenden Untersuchungshaft der Zugang zu konsularischer Betreuung verwehrt worden sei.
Tolu nannte die Ereignisse eine „Kette der Ungerechtigkeit“. Die Terrorvorwürfe hätten sich die türkischen Behörden aus den Fingern gesogen. Ihr Sohn, der fast vier Jahre alt ist, hatte wochenlang gemeinsam mit ihr im Frauengefängnis im Istanbuler Stadtviertel Bakirköy gelebt.
Nach ihrer Ankunft sollen Tolu und ihr Sohn nun erst einmal beim Vater der jungen Frau in Ulm wohnen. Tolu sagte, es sei für sie ungewohnt, nach insgesamt 17 Monaten wieder in Deutschland zu sein. Sie wolle nun erstmal Familie und Freunde treffen und alles verarbeiten. Ihr kleiner Sohn müsse in den Kindergarten. Er habe die deutsche Sprache verlernt und müsse alles neu lernen. Sie hoffe, dass ihre Familie bald wieder vereint sei, sagte sie mit Blick auf die weiterhin bestehende Ausreisesperre für ihren Mann.
Mesale Tolu will trotz langer Gefangenschaft für ihren Prozess wieder in die Türkei reisen. Der nächste Verhandlungstermin ist für den 16. Oktober angesetzt. Sie wolle teilnehmen, weil sie ihre Unschuld beweisen wolle und der Meinung sei, dass sie im Recht ist. Sie gehe nicht davon aus, nochmals inhaftiert zu werden. „Natürlich ist es eine willkürliche Herrschaft, die regiert, die wieder alles machen kann. Aber ich denke, ich bin einfach erstmal ein bisschen mutig“, sagte Tolu. Sie werde sich aber nicht blind einer Gefahr aussetzen, weil sie einen kleinen Sohn habe, an den sie denken müsse.
Der Fall Tolu hatte, zusammen mit dem des „Welt“-Reporters Deniz Yücel und des Menschenrechtlers Peter Steudtner, die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland schwer belastet. Nach offiziellen Angaben sitzen noch mindestens sieben deutsche Staatsbürger „aus politischen Gründen“ in türkischen Gefängnissen. Am 28. September wird der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Berlin von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit militärischen Ehren empfangen. Er bleibt bis zum 29. September und wird auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) treffen.
Dass Tolu nun das Land verlassen durfte, geht wohl auf eine leichte Verbesserung der deutsch-türkischen Beziehungen zurück - aber besonders auf das Bedürfnis der Türkei, sich wieder an Europa anzunähern angesichts des schweren Streits mit den USA, der die Währungskrise im Land verschärft hat. Von diplomatischen Abmachungen zu ihrer Freilassung wisse sie aber nichts, sagte Tolu.
Tolu appellierte an die Bundesregierung, weiter auf Menschenrechtsverletzungen in der Türkei hinzuweisen - nicht nur was die sieben deutschen Staatsbürger betreffe, sondern alle Menschen, die zu Unrecht in der Türkei inhaftiert worden seien.