Salvini im Visier der Justiz Migranten haben „Diciotti“ verlassen
Rom/Catania (dpa) - Die italienische Justiz ermittelt gegen Innenminister Matteo Salvini wegen seines harten Vorgehens gegen Migranten, die im Mittelmeer gerettet wurden.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Vize-Premier und Chef der fremdenfeindlichen Lega Freiheitsberaubung vor, wie am Samstag bekannt wurde. Es gilt allerdings als unwahrscheinlich, dass Salvini vor Gericht landet, denn gegen einen Minister zu ermitteln, ist eine komplizierte Angelegenheit.
Salvini hatte veranlasst, dass 177 Migranten seit Montagabend auf dem Rettungsschiff „Diciotti“ im Hafen von Catania bleiben mussten, weil er zuerst klären wollte, welches EU-Land sie aufnimmt. Die meisten Migranten konnten erst Sonntagnacht an Land gehen. Sie saßen seit ihrer Rettung Mitte August auf dem Schiff fest.
Als Salvini am Samstagabend seinen applaudierenden Anhängern im norditalienischen Pinzolo von den Ermittlungen gegen ihn erzählte, schäumte er. „Sie ermitteln gegen einen Minister, der die Grenzen des Landes verteidigt. Es ist eine Schande“, sagte er. „Sollen sie kommen und mich mitnehmen, ich bin bereit, ich warte auf sie, mit einem Grappa.“
Für seine trotzige, scharfe Rhetorik ist Salvini nicht erst seit seinem Antritt als Minister der Regierung aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung vor fast drei Monaten bekannt. Er lebt von der Provokation - und dieses Mal hat er aus Sicht der Staatsanwaltschaft eine Grenze überschritten.
Doch was hat Salvini zu befürchten? Die Vorwürfe gegen den Innenminister wiegen schwer. In Italien dürfen Menschen nicht länger als 48 Stunden ohne Anordnung eines Richters festgehalten werden - und im Fall der „Diciotti“ gab es keine richterliche Anordnung. Salvini handelte aus politischem Kalkül, um die europäischen Partner in der Flüchtlingsfrage weiter unter Druck zu setzen. Die Regierung in Rom will gerettete Migranten nur noch an Land lassen, wenn innerhalb der EU geklärt ist, wer sie aufnimmt.
Der Fall Salvini soll nun an eine spezielle Abteilung des Gerichts in Palermo weitergeleitet werden: das „Tribunale dei Ministri“ kümmert sich um Ermittlungen gegen Regierungsmitglieder. Als Mitglied des Senats genießt Salvini allerdings Immunität. Ohne Zustimmung des Senats kann zum Beispiel weder eine Hausdurchsuchung stattfinden noch Salvini abgehört oder festgenommen werden.
Und doch dürfte der Fall Konsequenzen haben. Salvini hat längst nicht alle Italiener auf seiner Seite, wie er behauptet. Doch seine Umfragewerte sind seit der Wahl im März stark gestiegen. Die Ermittlungen dürften die Stimmung im Land weiter aufheizen. Sein Vorgänger im Innenministerium, Marco Minniti, warnte am Sonntag in der Zeitung „La Repubblica“ vor einem Konflikt zwischen den Gewalten des Staates und gar einem Abdriften der Demokratie des Landes.
Für die Migranten an Bord der „Diciotti“ hat das tagelange Warten seit Sonntagnacht ein Ende. Am Samstag hatte die Gesundheitsbehörde im Hafen unter anderem wegen Tuberkulose-Verdachts noch den sofortigen Ausstieg einiger Migranten angeordnet. Zahlreiche Menschen litten außerdem an Krätze. Um den Großteil der Migranten - nämlich 100 - soll sich nun die italienische Bischofskonferenz kümmern. Albanien und Irland nehmen demnach jeweils um die 20 Menschen auf.
Mit Albanien ist nun auch ein europäisches Land zur Aufnahme bereit, das nicht Mitglied der EU ist. Im Juni hatte Österreichs Kanzler Sebastian Kurz erklärt, seine Regierung arbeite mit einer kleinen Gruppe von Staaten an Plänen für Aufnahmelager außerhalb der EU. Dort sollten Migranten hingebracht werden, die auf der Mittelmeerroute zwischen Nordafrika und Italien gerettet wurden. Als ein möglicher Standort war Albanien ins Gespräch gebracht worden, das EU-Mitglied werden möchte. Auch wenn Ministerpräsident Edi Rama entsprechende Spekulationen offiziell zurückgewiesen hat.
Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte am Samstag Verständnis dafür gezeigt, dass der Lega-Chef auf einem langfristigen Aufnahme-Konzept für die aus Seenot geretteten Migranten bestehe. Wie schwierig das sei, habe sich in der vergangenen Woche in Brüssel gezeigt, sagte der CSU-Vorsitzende. Selbst die Vertreter der 14 „Gutwilligen Europas“ hätten sich nicht einigen können. Damit sind jene EU-Länder gemeint, die gerettete Flüchtlinge und andere Migranten aufnehmen wollen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete die Gespräche am Wochenende als „alles andere als einfach“.
Hinter den Kulissen ist aber auch viel Negatives über die Art und Weise zu hören, wie Italien Druck aufbaut. Immer wieder fällt das Wort „Erpressung“. Nach dem „Diciotti“-Drama dürfte der Gegenwind aus Italien weiter zunehmen. „Europa hat auch in diesem Fall gezeigt, dass es Mist ist (...) und unser Geld nicht verdient“, sagte Salvini. Das Land prüft, ob es in den laufenden Verhandlungen über den EU-Budgetentwurf ein Veto einlegen wird.