Mittelmeer-Flüchtlingsdramen werden zu EU-Chefsache

Luxemburg/Rom (dpa) - Nach den jüngsten Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer will die Europäische Union die Seenothilfe massiv ausweiten.

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Bei einem Krisentreffen der Außen- und Innenminister am Montag in Luxemburg wurden Pläne für die Verdoppelung der Mittel für die EU-Programme Triton und Poseidon auf den Weg gebracht. Sie sollen den Einsatz von deutlich mehr Schiffen ermöglichen und noch am Donnerstag einem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs vorgelegt werden.

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Neben der Ausweitung der Seenotrettung könnten künftig gezielt von Schleppern genutzte Schiffe beschlagnahmt und zerstört werden. Vorbild sei die militärische Anti-Piraterie-Mission Atalanta am Horn von Afrika, sagte der zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos in Luxemburg bei der Vorstellung eines Zehn-Punkte-Plans. Atalanta begleitet nicht nur zivile Schiffe, sondern zerstörte mehrfach auch Piratenlager.

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„Natürlich ist richtig: Je mehr Boote man für die Seenotrettung zur Verfügung stellt - ohne ergänzende Maßnahmen - desto mehr werden Schlepper angeregt, dann ihr Geschäft fortzusetzen“, kommentierte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) die Ergebnisse des Krisentreffens. Dennoch unterstützte Deutschland die Verstärkung. Gleichzeitig müsse entschlossen gegen den Menschenhandel vorgegangen werden. „Das gehört zu den widerlichsten Verbrechen, die man sich vorstellen kann“, sagte de Maizière. „Die EU trägt daran keine Schuld, aber wir tragen Verantwortung für die Lösung dieser Themen.“

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Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sagte, das Ansehen Europas stehe auf dem Spiel. Viel zu oft sei gesagt worden: „Nie wieder“.

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Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte hatte zuvor die EU wegen der Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer ungewöhnlich scharf kritisiert. Die Hunderten von Toten seien das Ergebnis eines anhaltenden Politikversagens und eines „monumentalen Mangels an Mitgefühl“, sagte Said Raad al-Hussein am Montag in Genf. Statt nach sinnlosen strengeren Abschottungsmaßnahmen zu rufen, müsse die EU endlich legale Fluchtwege und mehr Rettungskapazitäten für das Mittelmeer bereitstellen.

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Am Montag schwand die Hoffnung, im Mittelmeer weitere Überlebende der Katastrophe vom Wochenende zu finden. Der italienischen Küstenwache zufolge war dabei ein Fischerboot mit Hunderten Flüchtlingen an Bord etwa 70 Seemeilen (130 Kilometer) vor der libyschen Küste gekentert. 24 Leichen wurden demnach geborgen, 28 Menschen gerettet. Ein Überlebender sprach von bis zu 950 Menschen an Bord.

Ob das Schiff und die vermutlich Hunderten Leichen geborgen werden können, war unklar. Die Küstenwache erklärte, möglicherweise werde es keine Gewissheit über die Zahl der Toten geben, da das Mittelmeer an der Unglücksstelle sehr tief sei. Die wenigen Überlebenden sollten am Montagabend mit einem Schiff Sizilien erreichen. Der zuständige Staatsanwalt Giovanni Salvi sagte, die meisten Flüchtlinge seien in den unteren Decks des Schiffs eingesperrt gewesen, als das Unglück geschah. Warum sie eingesperrt wurden, blieb unklar.

Am Montag gerieten drei weitere Schiffe mit mindestens 400 Menschen an Bord im Mittelmeer in Seenot. Nach Hilferufen seien Rettungseinsätze eingeleitet worden, sagte Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi.

Die Flüchtlinge treten nach Berichten von Überlebenden und Helfern die Fahrt über das Mittelmeer oft auf völlig überladenen und nicht seetüchtigen Booten an - bisweilen sogar ohne genügend Treibstoff.

Bei dem Sondergipfel in Brüssel soll auch über seine Forderung nach einem Mechanismus zur besseren Verteilung und Aufnahme in Europa ankommender Flüchtlinge gesprochen werden. „Wenn die Erstaufnahmeländer, also namentlich Italien und Griechenland, dazu Hilfe brauchen, so habe ich sie heute für die Bundesrepublik Deutschland angeboten“, sagte de Maizière. Zudem soll noch mehr dafür getan werden, dass Menschen gar nicht erst in Boote steigen.

„Wir können dem Problem auf lange Sicht nur Herr werden, wenn wir die Fluchtgründe an der Wurzel bekämpfen“, kommentierte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Deshalb müsse sich der Blick auf die Krisenherde vor Ort richten, insbesondere auf Libyen.

Das Bürgerkriegsland ist derzeit ein Haupttransitland. Seit Langzeitmachthaber Muammar al-Gaddafi 2011 mit Unterstützung des Westens gestürzt wurde, rivalisieren in Libyen islamistische Milizen und nationalistische Kräfte gewaltsam um Macht und Einfluss. Es gibt keine funktionierenden Grenzkontrollen. „Deswegen kommt es darauf an, dass wir helfen, Libyen zu stabilisieren“, sagte Steinmeier. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft in Palermo auf Sizilien warten in Libyen bis zu eine Million Flüchtlinge auf die Überfahrt nach Europa.