Nato und Russland rücken enger zusammen

Lissabon (dpa) - Die Nato öffnet sich gegenüber dem früheren Feind Moskau und rüstet sich für die Bedrohungen des 21. Jahrhunderts. Die 28 Bündnispartner demonstrierten bei einem Gipfel in Lissabon ihre Entschlossenheit im Kampf gegen den Terrorismus und unberechenbare Atomstaaten wie den Iran.

Die USA spannen über Europa einen Raketenabwehrschild. Der größte und längste Kampfeinsatz der Nato in ihrer 61-jährigen Geschichte in Afghanistan soll 2014 erfolgreich auslaufen. Gut zwei Jahrzehnte nach Ende des Kalten Krieges boten die Staats- und Regierungschefs dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew an, bei der neuen Raketenabwehr für Europa zusammenzuarbeiten. Der Kreml- Chef zeigte sich zur Kooperation bereit, stellte aber Bedingungen.

Für dieses beispiellose Projekt treten die USA in finanzielle, technische und militärische Vorleistung für die europäischen Alliierten. Die schon bestehenden Raketenabwehrsysteme soll vernetzt und zu einem lückenlosen Schutzschirm für Europas Bevölkerung ausgebaut werden. Dafür müssen die Europäer vergleichsweise geringe Ausgaben von bis zu 200 Millionen Euro aufbringen.

„Wir sehen Russland als einen Partner, nicht als einen Gegner“, sagte US-Präsident Barack Obama am Samstag. Überwunden ist der Tiefpunkt der Beziehungen zur Führung in Moskau nach dem russischen Feldzug in Georgien 2008.

Medwedew nannte die Annäherung an die Nato ein „historisches Ereignis“. Russland werde aber nur an der Raketenabwehr mitarbeiten, wenn es gleichberechtigt sei. So fordert Moskau einen umfassenden Informationsaustausch und die Übernahme von Verantwortung. Die neue Raketenabwehr dürfe nicht das militärische Gleichgewicht in Europa verschieben.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete die Annäherung der ehemaligen Gegner als historisch, schränkte aber ein: „Es gibt vor wirklicher Kooperation noch viel zu tun“. Nato- Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen ergänzte: „Zum ersten Mal werden wir bei der Verteidigung zusammenarbeiten. Wir haben heute die Gespenster, die uns viel zu lange verfolgt haben, ausgetrieben.“

30 0000 Menschen protestierten am Samstag auf den Straßen Lissabons friedlich gegen die Nato. Am Ende kam es nach Angaben der Polizei zu einigen Rangeleien mit gewaltbereiten Demonstranten. Rund 10 000 Sicherheitskräfte schützten das zweitägige Mammuttreffen.

Knapp ein Jahrzehnt nach Beginn des Afghanistan-Einsatzes legt die Nato den Rückzugsplan für ihre Truppen fest. Die Kampfeinsätze sollen bis Ende 2014 beendet sein; die Sicherheit sollen dann afghanische Armee und Polizei garantieren. Allerdings werden internationale Truppen wohl auch nach 2014 am Hindukusch bleiben. Der Gipfel kam zudem überein, im November 2011 auf einer großen Konferenz in Bonn über das weitere Vorgehen in Afghanistan zu beraten.

Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy stellte klar, dass sich die neue Nato-Raketenabwehr in Europa gegen den Iran richte. „Frankreich nennt das Kind beim Namen: Die Raketenbedrohung, das ist heute der Iran“.

Die Nato warnte vor einer Blockade der atomaren Abrüstung. Eine verspätete Ratifizierung des Start-Abrüstungsvertrags könne die Sicherheitslage gefährden, sagte Rasmussen. In den USA drohen die Republikaner damit, die Billigung des Vertrags zu verzögern. Merkel forderte die Republikaner auf, die Abrüstungsbemühungen des US- Präsidenten zu unterstützen. Eine Ratifizierung berge die Chance, das Kapitel des Kalten Krieges endgültig zuzuschlagen.

Angesichts knapper Kassen bei vielen Alliierten beschloss die Nato einen Sparkurs. Die Zahl der Hauptquartiere wird deutlich vermindert, die Zahl der Beschäftigten soll um 35 Prozent oder 5000 Stellen sinken. Bisher hat die Nato 11 Hauptquartiere mit rund 12 500 Beschäftigten. Welche Standorte betroffen sind, soll bis Juni nächsten Jahres entschieden werden.

In Deutschland gibt es mit dem Headquarters Allied Force Command Heidelberg und dem Headquarters Allied Air Command Ramstein zwei Hauptquartiere. Die Zentrale der AWACS-Flotte der NATO im rheinischen Geilenkirchen zählt offiziell nicht als Hauptquartier.

Obama kündigte an, der nächste Nato-Gipfel werde 2012 in den USA zusammenkommen.