Nato will in Libyen vormals zivile Ziele angreifen

Tripolis/Brüssel/Kairo (dpa) - Die Nato will ihre Gangart gegen den libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi verschärfen. Das Bündnis werde künftig auch jene eigentlich zivilen Ziele angreifen, die von den Gaddafi-Truppen als Kommandozentralen und Stellungen missbraucht werden.

Das kündigte der kanadische Oberst Roland Lavoie am Dienstag an. „Die Gaddafi-Truppen besetzen zunehmend Einrichtungen, die einst zivilen Zwecken dienten“, sagte der Militärsprecher des Nato-Einsatzes in Libyen in einer ins Nato-Hauptquartier in Brüssel übertragenen Video-Pressekonferenz.

Dabei handele es sich um frühere Ställe, landwirtschaftliche Einrichtungen, Lagerhäuser, Fabriken und Produktionsanlagen für Lebensmittel. „Indem es diese Einrichtungen besetzt und missbraucht hat, hat das Regime sie zu militärischen Anlagen gemacht, von denen aus es Angriffe führt und leitete“, erklärte Lavoie. Damit hätten diese Einrichtungen ihren „einst geschützten Status verloren und sind zu zulässigen und notwendigen militärischen Zielen der Nato geworden“.

Tatsächlich führten Mitarbeiter der Gaddafi-Propaganda am Dienstagmorgen die in Tripolis tätigen ausländischen Reporter zu einem Lagerhaus in Slitan, 160 Kilometer östlich von Tripolis, das in der Nacht zuvor von der Nato bombardiert worden sein soll. Ein BBC-Bericht zeigte ein schwer beschädigtes Hallengebäude. Andere Trümmer sollen Überreste eines Lungen-Krankenhauses sein. Nach Darstellung der Gaddafi-Leute sollen bei dessen Zerstörung durch die Nato sieben Menschen getötet und drei weitere verschüttet worden sein. Der BBC-Reporter nahm allerdings keine Bemühungen wahr, die auf eine Suche nach den Vermissten hingedeutet hätten.

Der britische Außenminister William Hague schloss indes einen Verbleib Gaddafis in Libyen nicht aus, falls dieser die Macht abgibt. Über sein Schicksal müsse das libysche Volk entscheiden, sagte Hague am Montagabend nach einem Treffen mit seinem französischen Amtskollegen Alain Juppé in London. Es stehe jedoch außer Frage, dass Gaddafi die Macht abtreten müsse. Juppé hatte sich bereits vor einer Woche nahezu gleichlautend geäußert.

Nach einem Bericht der britischen Zeitung „The Times“ vom Dienstag hat Hague damit erstmals zugestanden, dass der Machthaber in Libyen bleiben könnte und das Land nicht verlassen müsste. Premierminister David Cameron hatte im Frühjahr zu Beginn des Nato-Einsatzes in dem Land gesagt, Gaddafi müsse zurücktreten und Libyen verlassen.

Das an sich ölreiche Land könnte in wenigen Tagen ohne Benzin dastehen. Die Vorräte reichen nach Einschätzung libyscher Experten nur noch zwei Wochen, hieß es am Dienstag von den Vereinten Nationen in New York. Die Benzinnot sei ein ernsthaftes Problem. Die Preise des öffentlichen Verkehrs hätten sich verdreifacht, was auch die medizinische Versorgung beeinträchtige.

An den Tankstellen gebe es lange Schlangen, einige Tankstellen hätten bereits geschlossen. Das Benzin werde streng rationiert. Auch der BBC-Bericht vom Dienstag zeigte lange Schlangen an den Tankstellen zwischen Tripolis und Slitan.

Die Aufständischen zeigen sich derweil zunehmend ungehalten über die Politik Ägyptens gegenüber dem Gaddafi-Regime. Kairo hat es nämlich - anders als die meisten westlichen Länder - bisher verabsäumt, die Konten Gaddafis und seiner Angehörigen zu sperren. „Die ägyptische Regierung hat unsere diesbezüglichen Ansuchen ignoriert“, zitierte die Tageszeitung „Al-Masry Al-Youm“ am Dienstag Ali al-Essawy, einen Spitzenfunktionär der libyschen Gegenregierung in Bengasi. Wie viel Gaddafi-Geld in Ägypten liegt, ist nicht bekannt.