Neue Runde im Machtkampf am Nil
Wohin steuert Ägypten nach der Revolution? Militär und Islamisten ringen um die Vorherrschaft.
Kairo. Die Muslimbruderschaft stellt in Ägypten den Präsidenten und die größte Fraktion im Parlament, dessen Wahl aber vom Obersten Verfassungsgericht für nichtig erklärt worden war. Derweil will der Oberste Militärrat die Macht der Islamisten beschneiden. Die Hintergründe:
Der Militärrat hat nach dem Urteilsspruch das Parlament aufgelöst. Dessen Befugnisse hat er selbst übernommen. Zudem ermöglicht die Auflösung den Generälen, die Macht der Islamisten auch langfristig zu begrenzen. Denn viele Beobachter gehen davon aus, dass die Muslimbrüder und die radikal-islamistischen Salafisten bei einer Neuwahl schlechter abschneiden würden als bei der letzten Parlamentswahl.
Die Verfassungsrichter wurden alle noch von Ex-Präsident Husni Mubarak berufen. Allerdings wäre es zu kurz gegriffen, alle 18 Richter als willige Erfüllungsgehilfen des Militärs zu betrachten. Denn schon zu Mubaraks Zeiten gab es in Ägypten Richter, die auf ihrer Unabhängigkeit beharrten, was gelegentlich auch zu Konfrontationen mit dem Regime führte.
Präsident Mohammed Mursi hat nach der momentan noch gültigen alten Verfassung das Recht, eine Regierung zu ernennen. Dies wird er wahrscheinlich in den kommenden Tagen tun. Der Staatschef spielt in Ägypten auch eine wichtige Rolle in der Außenpolitik. Mursi darf, anders als Mubarak, aber nicht einem anderen Land den Krieg erklären. Der Militärrat hatte kurz vor seinem Amtsantritt per Dekret verfügt, dass der Präsident vor diesem Schritt die Erlaubnis des Militärrates einholen muss.
Es gibt unterschiedliche Szenarien: Wenn das Revisionsgericht entscheiden sollte, dass die Parlamentarier trotz des Verfassungsgerichtsurteils ihre Arbeit wieder aufnehmen dürfen, könnte Mursi versuchen, als Präsident die Rolle des Schiedsrichters zwischen den beiden Gerichten zu spielen.
Sollte sich das Revisionsgericht aber für nicht zuständig erklären, könnten die Konfliktparteien versuchen, doch noch eine politische Kompromisslösung zu finden. Unklar ist bislang, wann die neue Verfassung vorliegen wird, über die das Wahlvolk abstimmen soll. Auch ein Termin für eine mögliche Neuwahl steht nicht fest.