Rückkehr zur Todesstrafe? Berlin und Brüssel warnen Türkei
Istanbul/Berlin/Brüssel (dpa) - Der Ruf nach der Todesstrafe für Putschisten in der Türkei ist in Berlin und bei der EU in Brüssel auf scharfe Ablehnung gestoßen.
Bei einer Rückkehr zu der 2004 in der Türkei abgeschafften Todesstrafe sei für den EU-Beitrittskandidaten in der Europäischen Union kein Platz, machte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin deutlich. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte am Sonntag angekündigt, mit der Opposition über eine Wiedereinführung der Todesstrafe beraten zu wollen.
Merkel forderte Erdogan in einem Telefongespräch dazu auf, sich nach dem gescheiterten Putsch an rechtsstaatliche Prinzipien zu halten. Die Welle von Verhaftungen und Entlassungen in Armee, Polizei, und Justiz gebe „Anlass zu großer Sorge“. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte in Berlin: „Wir lehnen die Todesstrafe kategorisch ab. Ein Land, das die Todesstrafe hat, kann nicht Mitglied der Europäischen Union sein.“
Beim EU-Außenministertreffen in Brüssel zeigten sich etliche Teilnehmer tief besorgt über die Entwicklungen in der Türkei. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini stellte klar: „Kein Land kann Mitgliedstaat der EU werden, wenn es die Todesstrafe einführt.“ Der Putschversuch sei keine Entschuldigung, die es erlaube, Grundrechte und rechtsstaatliche Prinzipien zu missachten.
Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim äußerte sich zurückhaltend in der Debatte um die von Teilen der Bevölkerung geforderte Todesstrafe. Er halte eine Wiedereinführung für möglich, warnte aber vor überhasteten Beschlüssen. „Es ist nicht richtig, in der Hitze und dem Eifer des Gefechts eine voreilige Entscheidung zu treffen“, sagte Yildirim. „Aber wir können diese Forderung unserer Bürger nicht ignorieren. Das wird unser Parlament umfangreich bedenken und besprechen.“ Vorher wolle seine Regierung diese Forderungen weder zurückweisen noch unterstützen.
Der Europarat machte klar, dass die Türkei aus der Organisation austreten müsse, falls die Todesstrafe wieder eingeführt werde. Mit einer Mitgliedschaft in der für Menschenrechtsfragen zuständigen Staatenorganisation sei dies nicht zu vereinbaren, sagte ein Sprecher am Montag. Die Türkei gehört der Organisation seit 1950 an.
Seit dem Putschversuch wurden nach Angaben von Regierungschef Yildirim 7543 Verdächtige festgenommen, darunter 6038 Soldaten und 100 Polizisten, 755 Richter und Staatsanwälte sowie 650 weitere Zivilisten. Mehr als 13 000 Staatsbedienstete wurden suspendiert, darunter 7899 Polizisten und 2745 Justizbeamte.
Der Umsturzversuch war niedergeschlagen worden, nachdem Erdogan die Bevölkerung zu Massenprotesten aufgerufen hatte. Bei den Kämpfen vornehmlich in Ankara und Istanbul waren nach jüngsten offiziellen Angaben 145 Zivilisten, 60 Polizisten und 3 Soldaten getötet worden, mehr als 1500 Menschen wurden verletzt. Verwirrung gab es um die Zahl der getöteten Putschisten. Während die Regierung zunächst von mehr als 100 gesprochen hatte, gab Yildirim ihre Zahl am Montag mit 24 an.
Anführer der Putschisten soll nach Angaben aus Regierungskreisen der Ex-Luftwaffenchef Akin Öztürk gewesen sein. Nach seiner Verhaftung dementierte Öztürk allerdings eine Beteiligung, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft meldete. Kurz zuvor hatte Anadolu berichtete, Öztürk habe seine Beteiligung eingestanden. Die Agentur korrigierte die Meldung dann.
Der General gehörte bis zum Putschversuch dem Obersten Militärrat an. Neben Öztürk wurden nach Angaben von Anadolu mehr als 100 weitere Generäle aus den Streitkräften festgenommen. Als Hintermann sieht Erdogan den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen, was dieser bestreitet.
US-Außenminister John Kerry wies das Nato-Mitglied Türkei darauf hin, dass auch das Militärbündnis von ihren Mitgliedern die Achtung demokratischer Werte fordere. Ein offizielles Auslieferungsgesuch für Gülen haben die USA von der Türkei noch nicht erhalten. Kerry sagte in Brüssel, die USA würden einem solchen Gesuch nur nachkommen, wenn Beweise für eine Verwicklung von Gülen in den gescheiterten Putsch vorliegen. „Anschuldigungen reichen nicht“, sagte Kerry.
Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault sprach von der Gefahr einer Kehrtwende in der Türkei: „Wir müssen aufpassen, dass die türkischen Behörden kein System einrichten, das sich von der Demokratie abwendet.“ Der neue britische Außenminister Boris Johnson sagte, alle Seiten sollten nun Zurückhaltung und Mäßigung zeigen.