Seehofer: Flüchtlings-Streit stürzt Koalition in „ernste Lage“
Berlin/Ljubljana (dpa) - Wegen seines erbitterten Asyl-Streits mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht CSU-Chef Horst Seehofer die ganze schwarz-rote Regierung in einer ernsthaften Krise.
„Die Tatsache, dass wir zu einem historischen Thema einen signifikanten Meinungsunterschied haben in den Lösungen, wirkt sich zwangsläufig auf die Gesamtarbeit der Koalition aus“, sagte Seehofer in Kreuth. Bestärkt durch die neue Flüchtlings-Obergrenze in Österreich, beharrt die CSU auf einer Höchstzahl als Stoppsignal auch für Deutschland. Merkel lehnt dies weiter klar ab.
Immer mehr Balkanländer folgen inzwischen dem Beispiel Österreichs und schränken die Durchreise von Flüchtlingen ein. Nach Serbien, Kroatien und Mazedonien beschloss am Donnerstag auch Slowenien, nur noch Asylbewerber mit Ziel Deutschland und Österreich durchzulassen. Am Mittwoch hatte Österreich als erstes EU-Land angekündigt, eine Obergrenze für Flüchtlinge festzulegen.
Seehofer sagte mit Blick auf die große Koalition: „Wir sind durchaus in einer ernsten Lage.“ Er verwies auch auf die stockende Umsetzung eines Anfang November mit Merkel und SPD-Chef Sigmar Gabriel vereinbarten zweiten Pakets mit Asylrechtsverschärfungen. Bei der Obergrenze gebe die CSU nicht nach. „Wir werden diese Begrenzung weiterhin massiv einfordern — politisch, und möglicherweise auch rechtlich“, sagte der Ministerpräsident nach einer Klausur der CSU-Landtagsfraktion. Bayern droht seit längerem mit Verfassungsklage gegen die Bundesregierung, der die CSU angehört. Einen Bruch der Berliner Koalition schloss Seehofer aber erneut aus.
Merkel hatte bei einem Besuch in Kreuth einer Obergrenze nochmals eine Absage erteilt. Sie beschwor vor den CSU-Abgeordneten zugleich die Einheit der Union. „Ich kenne Ihre Sorgen. Aber ich bitte Sie, darüber nachzudenken, dass Ihre Lösung auch nicht ohne Risiken ist“, sagte sie und bat, ihren Weg „wenigstens ein bisschen“ zu begleiten.
Der Koalitionspartner SPD warf der CSU vor, mit Dauerkritik an der Kanzlerin und „Scheinlösungen“ das rechte Spektrum zu stärken. Die CSU vermittele den Eindruck, man könne einen Schalter umlegen und den Flüchtlingszustrom begrenzen, sagte SPD-Vize Ralf Stegner der dpa. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sprach von einem Hilferuf Wiens, dass Deutschland, Schweden und Österreich die Flüchtlinge nicht allein aufnehmen könnten. Dringlich sei, für sichere EU-Außengrenzen zu sorgen, sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Donnerstag).
Für Flüchtlinge auf der Balkanroute wird die Lage immer schwieriger. Mazedonien öffnete seine Grenze zu Griechenland zwar nach 48 Stunden wieder für Flüchtlinge. Auf griechischer Seite warteten aber laut Augenzeugen rund 1000 Menschen. Schutzsuchenden aus Irak, Syrien und Afghanistan werde die Weiterreise wieder erlaubt, berichtete das griechische Staatsradio. Sie müssen laut Staatsfernsehen nun aber erklären, in Deutschland oder Österreich um Asyl bitten zu wollen. Migranten aus anderen Staaten wie Pakistan würden zurückgeschickt.
In den ersten 20 Tagen des Jahres kamen nach UN-Angaben bereits mehr als 35 000 Flüchtlinge aus der Türkei nach Griechenland. Bei einem Bootsunglück vor der türkischen Küste ertranken zwölf Flüchtlinge, weitere 28 wurden gerettet. Die griechische Küstenwache rettete 73 Menschen in der Ägäis, ein Kind starb dann aber auf der Insel Lesbos.
Österreich will bis 2019 insgesamt 127 500 Asylbewerber ins Land lassen. In diesem Jahr sollen es maximal 37 500 sein, das wären 50 000 weniger als 2015. Was geschehen würde, wenn diese Obergrenze überschritten wird, ist unklar. Kanzler Werner Faymann (SPÖ) sprach von einem „Richtwert“. Auf der Balkanroute waren im vergangenen Jahr geschätzt 900 000 Menschen nach West- und Nordeuropa gelangt.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) äußerte sich skeptisch zur österreichischen Obergrenze. „Wir setzen auf eine europäische Lösung.“ Im Sender MDR Info kündigte er an, die bis Mitte Februar befristeten Kontrollen von Flüchtlingen an der deutschen Grenze auf unbestimmte Zeit zu verlängern.