50. Jahrestag Spuren des Vietnamkriegs von „Agent Orange“ bis „Hanoi Jane“

Hanoi/Ho-Chi-Minh-Stadt · Vor 50 Jahren endete der Vietnamkrieg - mit einer schmählichen Niederlage für die USA. Was ist von dem grausamen Konflikt geblieben, dem so viele Filme und Lieder gewidmet wurden? Eine Spurensuche.

Spuren des Vietnamkriegs von „Agent Orange“ bis „Hanoi Jane“
11 Bilder

Spuren des Vietnamkriegs von „Agent Orange“ bis „Hanoi Jane“

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Der Vietnamkrieg. Den meisten kommen bei dem Wort sofort Szenen aus US-Blockbustern wie „Platoon“ oder „Apocalypse Now“ in den Sinn. Khakifarbene Militärhubschrauber fliegen zu den Klängen der damaligen Protesthymnen von Joan Baez bis Bob Dylan über dichten Dschungel. Trauma und Todesangst, Wahnsinn und Wut - untermalt vom Soundtrack einer lautstarken Friedensbewegung.

Wenige Ereignisse in der Geschichte haben so heftige Proteste ausgelöst wie die Einmischung der USA in dieses weit entfernte Kriegsinferno. An diesem Mittwoch jährt sich das Ende des blutigen Konfliktes zum 50. Mal. Am 30. April 1975 marschierten nordvietnamesische Truppen in der südvietnamesischen Hauptstadt Saigon ein.

Für das Land steht der 30. April auch für seine Wiedervereinigung. Am Jahrestag plant die Regierung riesige Feiern samt Militärparade. Auch manche Amerikaner, die bis heute Schuldgefühle plagen, sind angereist - darunter Soldaten und Aktivisten. „Ich war damals Friedensaktivist und saß dafür in meiner Heimat im Gefängnis“, erzählt Bill aus dem US-Bundesstaat Florida. Er hat Tränen in den Augen, als er sagt: „Es war mir sehr wichtig, zum Jahrestag nach Vietnam zu kommen, um den Menschen hier meine Ehre zu erweisen.“

Worum ging es in dem Krieg?

Die Geschichte dieses blutigen Dschungelkrieges ist vielschichtig und kompliziert. Er begann kurz nach der Unabhängigkeit von der langjährigen Kolonialmacht Frankreich und zog sich über fast 20 Jahre, von 1955 bis 1975. Seit Mitte der 1960er Jahre mischten die USA massiv mit und unterstützen südvietnamesische Truppen beim Versuch, die Ausbreitung des Kommunismus in Südostasien zu verhindern. In Vietnam heißt der blutige Konflikt „The American War“ („Der amerikanische Krieg“).

Die Nordvietnamesen agierten unter dem Namen „Nationale Front für die Befreiung Südvietnams“ - kurz „Vietcong“ genannt. Sie wurden von der damaligen Sowjetunion unterstützt. Ihr Anführer war Ho Chi Minh, liebevoll „Onkel Ho“ genannt, der im kommunistischen Vietnam noch heute wie ein Heiliger verehrt wird. Saigon heißt seit Kriegsende offiziell Ho-Chi-Minh-Stadt.

Schmähliche Niederlage für die USA

Als die USA sich 1973 aus dem Krieg zurückzogen, hatten sie die erste große militärische Niederlage ihrer Geschichte eingefahren und 58.000 Soldaten verloren. Trotz des Einsatzes entsetzlicher Waffen wie des Brandkampfstoffs Napalm und „Agent Orange“ - eines hochtoxischen Entlaubungsmittels - hatten die GI gegen die ausgeklügelten Guerilla-Taktiken des Vietcong letztlich keine Chance.

Bis heute regieren die siegreichen Kommunisten. Sie halten die Erinnerung an den Krieg, der nach Schätzungen zwei bis fünf Millionen Vietnamesen das Leben kostete, weiter lebendig - auch für Touristen. Ein Überblick:

Tränen im Kriegsmuseum

Direkt hinter dem Eingang des beeindruckenden War Remnants Museums in Ho-Chi-Minh-Stadt warten nicht nur Kampfjets und Panzer, sondern auch Hui. Dem 56-Jährigen fehlen beide Arme und ein Bein. Auf einem Auge ist er blind. „Ich war acht Jahre alt, als ich im zentralen Hochland auf eine Mine aus dem Krieg getreten bin“, erzählt er. Arbeiten kann er nicht, er verkauft vor dem Museum Bücher und erzählt Touristen seine Lebensgeschichte - immer und immer wieder.

Drinnen ist der Chemiewaffe „Agent Orange“ ein ganzer Raum gewidmet. Die Fotos von Generationen deformierter und von Tumoren gepeinigter Vietnamesen und die Erklärungen dazu, was das Gift der Amerikaner angerichtet hat, sind fast zu schlimm, um sie auszuhalten. Viele Besucher brechen hier in Tränen aus.

Ein preisgekröntes Foto

Ins kollektive Gedächtnis haben sich auch andere Fotos gebrannt. Das Berühmteste ist vielleicht das des AP-Fotografen Nick Ut, der 1972 den Moment festhielt, als ein kleines Mädchen sich nach einem Napalm-Angriff die brennenden Kleider vom Leib riss. Ut half der Neunjährigen und brachte sie ins Krankenhaus.

Phan Thi Kim Phuc, bekannt als „Napalm Girl“ leidet bis heute unter den schweren Verbrennungen. Uts Foto von ihr, das weltweit Schlagzeilen machte, gewann 1973 den Pulitzer-Preis. „50 Jahre nach diesem schicksalshaften Tag stehen die beiden immer noch in regelmäßigem Kontakt - und nutzen ihre Geschichte, um eine Botschaft des Friedens zu verbreiten“, berichtete der US-Sender CNN 2022.

Die Tunnel von Cu Chi

Zwei Autostunden entfernt von Ho-Chi-Minh-Stadt liegen die Tunnel von Cu Chi, ein legendäres, mehr als 200 Kilometer langes Tunnelsystem, das maßgeblich zum Sieg des Vietcong über die US-Truppen beitrug. Heute eine Touristenattraktion, waren die klaustrophobischen Tunnel einst viel mehr als nur unterirdische Geheimgänge: Auf drei Ebenen gab es hier Wohneinheiten, Küchen, Schulen, Lazarette und Kommando-Zentralen.

In den Tunneln lebten nicht nur männliche Vietcong-Kämpfer, sondern auch viele Frauen und Kinder, die ebenfalls gegen den Feind im Einsatz waren. Sehr eindrücklich zeigt dies der eigens zum 50. Jahrestag herausgebrachte Kinofilm „Dia Dao“ (deutscher Titel: „Tunnel: Sonne im Dunkeln“) des Regisseurs Bui Thac Chuyen. Das Epos bricht gerade in Vietnam Kassen-Rekorde.

Hotels mit Historie

Wer Geschichte hautnah leben will, kommt in Vietnam an zwei Hotels nicht vorbei. Im Sofitel Legend Metropole Hanoi in der nördlichen Hauptstadt Hanoi kamen während des Krieges nicht nur viele Reporter und Botschaften unter, sondern auch prominente US-Friedensaktivistinnen wie die Schauspielerin Jane Fonda (87).

1972 sorgte sie für einen Skandal, als sie sich in Nordvietnam rittlings auf einer Kanone der Vietcong-Kämpfer sitzend fotografieren ließ. Seither war sie die „Hanoi Jane“. Ebenso wie die Folksängerin Joan Baez (84) musste sich der Hollywoodstar im Bombenhagel im Bunker des Hotels in Sicherheit bringen, wie der hoteleigene Historiker Nguyen Thanh Tung erzählt.

Im Continental können Besucher hingegen in dem Zimmer nächtigen, in dem der britische Schriftsteller Graham Greene einst seinen berühmten Vietnam-Roman „Der stille Amerikaner“ schrieb. Das Hotel kommt auch prominent im gleichnamigen Film von 2002 mit Michael Caine in der Hauptrolle vor.

Kellner in Vietcong-Kluft

Vietnam hat seine eigene große Café-Kette: Cong Caphe. Markenzeichen sind ein khaki-grüner Außenanstrich und Kellner in Vietcong-Kluft. „Wir wollen damit die Soldaten von damals ehren, die für unser Land gekämpft haben“, sagt der Mitarbeiter Duc Anh Lee. Hinter den Tischen stehen Utensilien aus Kriegstagen, Tarnhelme zieren die Wände.

Für die jungen Vietnamesen, die hippe Kaffee-Kreationen schlürfen, gehört das Szenario zum Alltag. Der Krieg ist eben noch immer omnipräsent - auch wenn er in Vietnam nur aus der Sicht des kommunistischen Siegers erzählt wird.

© dpa-infocom, dpa:250429-930-477528/1

(dpa)