Acht Jahre in Deutschland Suizid in Afghanistan: Familie beerdigt jungen Abgeschobenen
Kabul (dpa) - Rund zehn Tage nach dem Selbstmord des aus Deutschland abgeschobenen Afghanen Dschamal M. in Kabul hat die Familie den jungen Mann in Nordafghanistan beerdigt.
Am Sonntag sei die Trauerfeier gewesen, sagte sein Bruder S. (28), der mit vollem Namen nicht genannt werden wollte, der Deutschen Presse-Agentur am Montag. Er habe die Leiche am Freitag aus dem Leichenschauhaus der Rechtsmedizin in Kabul abgeholt und mit dem Flugzeug nach Masar-i-Scharif gebracht, Hauptstadt der Provinz Balch.
Der Vater habe vom Tod seines Sohnes in den Fernsehnachrichten erfahren, sagte S. „Ich war wie tot innerlich, als ich es gehört habe. Er war mein kleiner Bruder, wir sind zusammen aufgewachsen, wir haben miteinander gespielt. Er war so klug.“
Die Unterhaltung mit der Familie des Opfers wirft mehr Licht auf die Hintergründe des dramatischen Falls, der in Deutschland mitten in eine erhitzte Debatte über Asylverfahren fiel und neue Kritik an Abschiebungen nach Afghanistan, aber auch an Bemerkungen von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auslöste. Nach rund acht Jahren in Deutschland war Dschamal M. am 3. Juli aus Hamburg abgeschoben worden, weil er mehrere Straftaten begangen hatte. Nach Erkenntnissen der Deutschen Presse-Agentur hatte er sich kurz nach der Ankunft in einem Hotel in Kabul erhängt.
Die Familie habe Dschamal ins Ausland geschickt, weil er im Dorf in der Provinz Fariab, wo die Familie ursprünglich herstammt, den Taliban aufgefallen sei, sagte sein Bruder. Nach Angaben des Rechercheinstituts Afghanistan Analysts Network ist der Vater in einem Bezirk in Fariab weiterhin Bezirksgouverneur. Der Bruder lebt als Ladenbesitzer in Balch.
Fariab im Nordwesten des Landes gehört heute zu den unsichersten Provinzen in Afghanistan. „Die Taliban wollten ihn rekrutieren, aber mein Vater wollte das nicht“, berichtet der Bruder. Also sei die Familie nach Balch gezogen. „Dann haben wir Dschamal für immer weggeschickt“ - eines von Zehntausenden afghanischen Kindern, deren Eltern sie meistens aus einer Vielzahl von Gründen Richtung Europa schmuggeln ließen. Unabhängig nachprüfen ließ sich die Darstellung zunächst nicht.
Die Hamburger Jahre von Dschamal M. sind noch weitgehend im Dunkeln, aber irgendwann fing Dschamal M. an, sich von seiner Familie zu distanzieren. Er begann wohl auch zu schwindeln. „Anfangs haben wir alle zehn oder 20 Tage mit ihm gesprochen“, sagte der Bruder. 2014 habe er erzählt, er habe die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen. „Er hat uns auch erzählt, dass er Elektriker wird, ein Auto hat, ein Einkommen und einen Platz zum Leben.“ Aber dann habe sich Dschamal immer seltener gemeldet. „In den letzten zwei Jahren hatten wir gar keinen Kontakt mehr, obwohl wir ihm auf Facebook Nachrichten haben zukommen lassen“, sagte S. „Wir dachten, vielleicht lebt er sich in der Fremde ein und will nicht mehr anrufen.“
Der „Spiegel“ hatte am Freitag gemeldet, dass Dschamal M. in Deutschland psychische Probleme bekommen habe. Der Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats, Stephan Dünnwald, sagte der dpa, dass der Rat „Informationen über mehrere psychisch Kranke“ an Bord hatte. „In einem Fall wurde ein Afghane von der Psychiatrie im oberbayrischen Gauting trotz stationärer Behandlung an die Polizei ausgeliefert. In einem anderen Fall wurde ein junger Mann, der sich mehrfach selbst verletzt hatte, nur notdürftig versorgt und dann abgeschoben.“
Ehemalige Mitbewohner sagten in dem „Spiegel“-Artikel, dass Dschamal M. „depressiv und verwirrt“ gewirkt habe. Im Frühjahr 2018 sei er in psychologischer Behandlung gewesen. Bei einem Besuch in der Übergangsunterkunft in Kabul sagten andere Abgeschobene der dpa, er habe mit niemandem gesprochen.
Seine Familie hat Dschamal M. auch nicht kontaktiert. Und dann sei da noch etwas Seltsames, sagte sein Bruder. Dschamals Handy zeige einige Kontakte aus Deutschland. „Aber da sind keine Bilder. Nichts, das uns sagt, wo er war und wie er sein Leben gelebt hat.“