Hoffen auf Dudas Veto Tausende Polen protestieren gegen umstrittene Justizreform
Warschau (dpa) - Tausende Polen haben am Wochenende landesweit gegen die heftig kritisierte Justizreform der nationalkonservativen Regierung demonstriert. Mit dem Senat hatte auch die zweite Parlamentskammer in der Nacht zum Samstag für den Umbau des Justizwesens gestimmt.
Die Volksvertreter ignorierten damit sowohl Sanktionsdrohungen der EU-Kommission als auch warnende Stimmen im In- und Ausland, die um die Unabhängigkeit der polnischen Justiz fürchten. Nun fehlt noch die Unterschrift von Präsident Andrzej Duda.
Rund zehntausend Warschauer versammelten sich nach Angaben der Stadt am Samstagabend vor dem Obersten Gericht und forderten Duda zu einem Veto auf. Damit hoffen sie, die Reform aufzuhalten. „Wir werden die Diktatur zu Fall bringen“, riefen die Demonstranten. Bei einer Kundgebung in der Hafenstadt Danzig rief Ex-Präsident Lech Walesa zur Verteidigung der Gewaltenteilung auf. Auch der aus Polen stammende EU-Ratspräsident Donald Tusk appellierte in einem Interview des Senders TVN24, jede Möglichkeit zu nutzen, um Polen wieder auf den richtigen Weg zu bringen.
Die Reformen sollen es der Regierung ermöglichen, Richter des Obersten Gerichts in den Ruhestand zu schicken und ihre Posten neu zu besetzen. Die Richterposten in dem über die Unabhängigkeit der Justiz wachenden Landesrichterrat (KRS) sollen ebenfalls neu besetzt werden. Kritiker befürchten, dass ein befangenes Oberstes Gericht künftig sogar Wahlen für ungültig erklären könnte. Die Zustimmung des Parlaments galt im Vorfeld als sicher, weil die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski mit absoluter Mehrheit regiert.
Sobald Präsident Duda unterschrieben hat, kann die Reform in Kraft treten. Dafür hat er 21 Tage Zeit. Das Staatsoberhaupt kann den Entwurf aber auch vom Verfassungsgericht prüfen lassen, das nach einer PiS-Reform 2015 allerdings als befangen gilt. Dritte Option Dudas wäre ein Veto und die Bitte an den Sejm - das polnische Unterhaus - um Überarbeitung.
Allerdings könnte ein nach Angaben der PiS „winziger Fehler“ in dem umstrittenen Gesetzentwurf zum Obersten Gericht das Gesetzgebungsverfahren verzögern. Die im Eiltempo vorangetriebene Novelle enthalte zwei verschiedene Paragrafen zur Wahl des Ersten Gerichtsvorsitzenden, wie es hieß. Nach Ansicht des Präsidenten verstoße dies gegen Prinzipien der ordentlichen Gesetzgebung, sagte Dudas Sprecher Krzysztof Lapinski. Diese Doppelung könne der Senat schnell beheben, schlug Senatsmarschall Stanislaw Karczewski vor.
Derweil hat der Justizstreit unlängst Wellen bis ins Ausland geschlagen. Die US-Regierung als traditioneller Verbündeter riet Warschau davon ab, „Gesetze zu erlassen, die die gerichtliche Unabhängigkeit und Rechtsstaatlichkeit in Polen zu untergraben scheinen“. Auch in Berlin sorgten die angestrebten Änderungen für Beunruhigung. „Dem kann die EU nicht tatenlos zusehen“, sagte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) der „Bild am Sonntag“. Dass Brüssel Strafen prüfe, begrüße er: „Wer den Rechtsstaat so wenig achtet, nimmt in Kauf, dass er sich politisch isoliert.“
Die EU-Kommission drohte bei Inkrafttreten der Reform ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages an. Dieser sieht als schwerste Sanktion eine Aussetzung der Stimmrechte des Mitgliedstaates vor. Am Mittwoch will Brüssel erneut über Polen beraten. Inwiefern die Kommission durchgreifen kann, war allerdings unklar. Sanktionen müssten von allen Mitgliedstaaten gebilligt werden. Doch Ungarn - weiteres Sorgenkind der EU - sagte Polen bereits seine Unterstützung zu. Man „wird jedes rechtliche Mittel nutzen, um sich mit Polen solidarisch zu zeigen“, sagte Ministerpräsident Viktor Orban. Das Vorgehen Brüssels sei eine „Inquisition“.
Auch Polens Nationalkonservative fühlen sich von der Kommission ungerecht behandelt. Vizepräsident Frans Timmermans führe gegen Warschau eine „persönliche Mission“, hieß es. Bei der Reform würden demokratische Standards gewahrt, sagte Justizminister Zbigniew Ziobro. Weiteres PiS-Argument: Die Änderungen seien den Bürgern versprochen worden, schließlich wurde Polens Justiz seit dem Ende des Kommunismus 1989 nicht reformiert. Die Richter seien großteils korrupt und unterlägen keiner demokratischen Kontrolle.
Zwar soll Präsident Duda an diesem Montag mit der Ersten Vorsitzenden des Obersten Gerichts, Malgorzata Gersdorf, und dem Voristzenden des Landesrichterrats, Dariusz Zawistowski, in dem Streit beraten. Die Hoffnung der Reform-Gegner auf sein Veto könnte allerdings vergebens sein. Er gilt als Unterstützer der Nationalkonservativen und winkte bisher selbst die umstrittensten Gesetze durch.