Pulverfass Trump lässt die Kurden in Syrien fallen - „Verrat“ an Verbündeten?
Washington · US-Präsident Trump zieht US-Soldaten in Syrien aus dem Grenzgebiet zur Türkei zurück. Für die Türkei dürfte damit der Weg zum Angriff auf die Kurdenmilizen frei sein. Kritiker werfen Trump Verrat an Verbündeten vor - und fragen, was das Wort Amerikas noch Wert ist.
Eigentlich hat Donald Trump genug Probleme, nicht zuletzt droht ihm zu Hause ein Amtsenthebungsverfahren. Doch der US-Präsident öffnet ein weiteres Pulverfass: Vor einer geplanten türkischen Offensive gegen kurdische Milizen zieht er US-Soldaten aus dem syrisch-türkischen Grenzgebiet ab - und erntet damit sogar in den eigenen Reihen einen außergewöhnlich wütenden Proteststurm. Auch wenn sich Trump am Montag bemüht, die Kritik an seiner Entscheidung mit Drohungen an die Adresse Ankaras abzumildern: Die Kurdenmilizen in Nordsyrien, die wichtigsten Verbündeten der USA im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), lässt er fallen.
Seit 2017 patrouillieren US-Soldaten im Norden des Bürgerkriegslandes mit Verbündeten der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die von der Kurdenmiliz YPG dominiert werden. Ankara sieht in der YPG den syrischen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK - dem historischen Gegner. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan rasselt seit langem mit dem Säbel, er will in den von ihm so bezeichneten „Terrorkorridor“ unter SDF-Kontrolle in Nordsyrien einmarschieren. Bislang musste er dafür die Rache Trumps fürchten: Der US-Präsident warnte im Januar, die Türkei werde bei einem Angriff auf die Kurden wirtschaftlich vernichtet werden.
In der Nacht zu Montag ließ dann eine Mitteilung des Weißen Hauses aufhorchen: Die Türkei werde „bald“ mit ihrer seit langem geplanten Operation voranschreiten, hieß es dort. Die USA würden sie nicht unterstützen und sich auch nicht daran beteiligen. US-Streitkräfte würden aber „nicht länger in der unmittelbaren Region sein“. Die Terrormiliz IS sei aus ihrem „Kalifat“ vertrieben worden. Kurz: Die YPG hat ihre Schuldigkeit getan. Erdogan - mit dem Trump kurz zuvor telefoniert hatte - dürfte die Mitteilung so gedeutet haben, dass die USA grünes Licht für die Offensive geben.
Trump argumentiert am Montag, er wolle Amerika aus den „endlosen Kriegen“ herausführen. Die USA würden nur noch dort kämpfen, wo es zu ihrem Nutzen sei, und nur noch kämpfen, um zu gewinnen. Er äußert dieses Mal sogar seltenes Verständnis für seine Kritiker - sagt aber auch, dass der Einsatz in Nordsyrien nicht ewig weitergehen könne.
Entrüstung kommt aus beiden Kammern des Kongresses - und zwar sowohl von den Demokraten als auch von Trumps Republikanern. Der Senator und enge Trump-Vertraute Lindsey Graham kündigt für den Fall eines Einmarsches eine parteiübergreifende Resolution im Kongress an, mit der Sanktionen gegen die Türkei verhängt würden. Er hoffe auf eine Zweidrittelmehrheit, gegen die Trump dann auch mit einem Veto nichts ausrichten könnte, teilt er in einem von vielen erbosten Tweets mit.
Und nicht nur das: Graham kündigt an, sich dann auch für eine Aussetzung der türkischen Nato-Mitgliedschaft zu engagieren. Der republikanische Senator wettert auf Twitter: „Indem wir die Kurden sitzen gelassen haben, haben wir das denkbar gefährlichste Signal ausgesendet - Amerika ist ein unzuverlässiger Verbündeter, und es ist nur eine Frage der Zeit, bevor China, Russland, der Iran und Nordkorea sich auf gefährliche Weise aufführen.“ Der Iran und Russland sind die wichtigsten Verbündeten von Syriens Präsidenten Baschar al-Assad.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Repräsentantenhaus, der Demokrat Eliot Engel, nennt den Abzug „ein Geschenk an Russland, den Iran und den IS und einen atemberaubenden Verrat an den kurdischen Kräfte“. Seltene Einigkeit gibt es sogar zwischen dem republikanischen Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, und der demokratischen Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi. Auch Experten wie Trumps früherer Sondergesandter für die Internationale Allianz gegen den IS, Brett McGurk, warnen vor den Konsequenzen, die „weit über Syrien hinauswirken“ würden. McGurk kritisiert: „Der Wert eines amerikanischen Handschlags sinkt.“
Die Demokraten laufen ohnehin Sturm gegen Trump. Angesichts des drohenden Amtsenthebungsverfahrens ist es aber eine denkbar schlechte Zeit für Trump, auch noch Parteifreunde gegen sich aufzubringen. Die Republikaner Graham und McConnell vergleichen Trumps Abzugsentscheidung mit der Politik von Barack Obama, der die US-Truppen Ende 2011 aus dem Irak abzog - wo dann die Terrormiliz IS entstehen konnte. Wenig dürfte Trump mehr schmerzen als der Vergleich mit dem von ihm so verhassten Amtsvorgänger. Vielleicht versucht der Präsident deswegen im Laufe des Tages, mit kryptisch wirkenden Tweets und vagen Aussagen zurückzurudern.
„Wenn die Türkei irgendetwas unternimmt, was ich in meiner großartigen und unvergleichlichen Weisheit für tabu halte, werde ich die türkische Wirtschaft vollständig zerstören und auslöschen“, schreibt Trump auf Twitter. Was der US-Präsident in seiner großartigen und unvergleichlichen Weisheit für tabu hält, lässt er offen. Auch später, als er am Rande der Unterzeichnung eines Handelsabkommens im Weißen Haus Fragen von Journalisten beantwortet, bekennt Trump sich nicht ausdrücklich zum Schutz der Kurden. Vage warnt er vor schweren wirtschaftlichen Konsequenzen für die Türkei, sollte sie sich auf eine Art verhalten, die er nicht für „human“ halte.
Das Weiße Haus sieht sich danach bemüht, die Entscheidung des Präsidenten zu erklären. Der Abzug der US-Truppen aus dem Grenzgebiet in Nordsyrien bedeute keineswegs „grünes Licht“ für die Türken, ein „Massaker“ an den Kurden zu begehen, sagt ein ranghoher Regierungsbeamter auf Nachfrage. Auch bedeute der Schritt keinen Abzug der US-Truppen aus Syrien. Tatsächlich handele es sich nur um rund 50 Soldaten, die aus dem Grenzgebiet zurückgezogen worden seien.
Aus Sicht der türkischen Regierung dürfte die Zahl sekundär sein - Hauptsache, die US-Soldaten sind aus dem Weg. Der Streit zwischen den USA und der Türkei um die YPG reicht lange zurück. Erdogan hatte den US-Soldaten in Syrien einst sogar eine „osmanische Ohrfeige“ angedroht, sollten sie die YPG vor türkischen Truppen schützen.
Schlechte Nachrichten sind das für die Kurdenmilizen und die SDF in Nordsyrien. „Die US-Kräfte vor Ort haben uns gezeigt, dass sie Freundschaft und Allianz nicht wertschätzen“, schreibt SDF-Sprecher Mustafa Bali am Montag auf Twitter. Er wirft den US-Truppen vor, ihrer Verantwortung nicht nachgekommen zu sein - die Gegend werde mit ihrem Abzug zu einem „Kriegsgebiet“, warnt er. „Aber die SDF sind entschlossen, Nordost-Syrien um jeden Preis zu verteidigen.“ Auf die Unterstützung der Amerikaner können sie dabei nicht mehr zählen.