Babi Jar Ukraine gedenkt des Massakers an den Kiewer Juden
Kiew (dpa) - Der Judenmord war längst geplant, doch die deutschen Besatzer in Kiew suchten noch einen Vorwand. Am 19. September 1941 war die Wehrmacht in die Hauptstadt der damaligen Sowjetrepublik Ukraine einmarschiert.
Wenige Tage später erlitt sie hohe Verluste, weil verminte Gebäude in der Innenstadt ferngelenkt explodierten. Am 29./30. September brachte die SS im Tal Babi Jar (Weiberschlucht) 33.771 Juden um.
75 Jahre später gedenkt die unabhängige Ukraine der grauenvollen Ereignisse. Zur heutigen Feier mit Staatschef Petro Poroschenko wird auch Bundespräsident Joachim Gauck erwartet.
„Sämtliche Juden der Stadt Kiew und Umgebung haben sich am Montag, dem 29. September 1941, bis acht Uhr einzufinden“, verkündeten Aushänge. Mitzunehmen seien Dokumente, Geld und Kleidung. Wer der Anweisung nicht folge, dem wurde mit Erschießung gedroht. Von einst 220.000 jüdischen Einwohnern waren nur 50.000 geblieben, die Männer dienten in der Roten Armee, andere waren geflohen. Greise, Frauen und Kinder fanden sich am Sammelplatz bei der heutigen Metrostation Lukjaniwka ein. Getrieben von lokalen Wachmannschaften, legten sie die zweieinhalb Kilometer zum damaligen Stadtrand zu Fuß zurück.
In Babi Jar (ukrainisch: Babyn Jar) wurden die Menschen gezwungen, sich auszuziehen. In Zehnergruppen wurden sie in die Schlucht geführt. Dort befanden sich drei Gruppen mit MPi-Schützen, wie Kurt Werner, Angehöriger des SS-Sonderkommandos 4A, nach dem Krieg in den Nürnberger Prozessen aussagte. „Die nachfolgenden Juden mussten sich auf die Leichen der zuvor erschossenen Juden legen. Die Schützen standen jeweils hinter den Juden und haben diese mit Genickschüssen getötet“, berichtete der SS-Mann.
Bis Mitte Oktober wurden mehr als 50.000 Menschen getötet. Pioniere der Wehrmacht sprengten anschließend die Ränder der bis zu 50 Meter tiefen Schlucht, um Spuren des Massengrabes zu verwischen.
Bis zu 200.000 Menschen wurden in der Besatzungszeit in Babi Jar ermordet. Erschossen wurden außer Juden auch Roma, Kriegsgefangene, psychisch Kranke, Partisanen und ukrainische Nationalisten. Nach der Niederlage von Stalingrad zeichnete sich jedoch eine Rückkehr der Roten Armee ab. Der bereits an den Erschießungen 1941 beteiligte SS-Standartenführer Paul Blobel kam nach Kiew zurück und begann mit der sogenannten „Ent-Erdungsaktion“. 300 KZ-Häftlinge gruben die Leichen wieder aus und verbrannten sie auf mit Benzin getränkten Eisenbahnschwellen. Das Grauen endete erst am 6. November 1943, als die Rote Armee unter gewaltigen Verlusten die Stadt befreite.
Die sowjetische Regierung tat sich jahrzehntelang schwer mit dem Gedenken an die ermordeten Kiewer Juden. Die Schlucht wurde mit den Jahren Teil der Stadt, sie wurde in einen Park umgewandelt. Erst nach Stalins Tod löste unter anderem das 1961 erschienene weltbekannte Gedicht „Babi Jar“ von Jewgeni Jewtuschenko eine Debatte aus. Doch das 1976 errichtete Monument für die ermordeten „sowjetischen Bürger“ verweigerte das Gedenken an die Juden als Hauptopfergruppe.
Das änderte sich erst zum 50. Jahrestag 1991, fast zeitgleich mit dem Ende der Sowjetunion. Ein Mahnmal in Form einer Menora, eines siebenarmigen jüdischen Leuchters, wurde errichtet. Doch auch anderer Opfergruppen wie der Roma wurde mit eigenen Denkmälern gedacht. Zugleich begann eine Diskussion über die Errichtung einer Holocaust-Gedenkstätte - ein Novum für die Ex-Sowjetrepublik Ukraine.
Inzwischen hat das Land mit Wladimir Groisman einen Regierungschef jüdischer Herkunft. Schon als Parlamentschef ließ er in der Obersten Rada erstmals eine Gedenkminute für die Holocaustopfer einlegen.
Auf den 75. Jahrestag hat sich Kiew lange vorbereitet. Für umgerechnet mehr als eine Million Euro wurden Grünlagen und Wege neu gestaltet, die Gedenkstätten saniert. „Wir müssen uns daran erinnern, was hier geschah, damit die Fehler der Vergangenheit sich nicht noch einmal wiederholen“, sagte der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko.
Und auch die zeitweilig eingeschlafenen Gespräche über ein Memorial für die Schoah stieß er wieder an. „Ich halte es für meine Mission als Bürgermeister der Hauptstadt, das Projekt der Errichtung einer Gedenkstätte für die Opfer von Babi Jar zu realisieren“, versprach der Ex-Boxweltmeister im Dezember 2015 den Nachkommen der Opfer.