UN-Tribunal spricht serbischen Nationalist Seselj frei

Den Haag/Belgrad (dpa) - Nach 13 Jahren ist der serbische Nationalistenführer Vojislav Seselj von allen Anklagepunkten zu Kriegsverbrechen auf dem Balkan Anfang der 1990er Jahre freigesprochen worden.

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Er sei nicht verantwortlich für Mord, Deportation, Verfolgung und Folter von Kroaten und Muslimen, urteilte das UN-Kriegsverbrechertribunal zum früheren Jugoslawien in Den Haag. Der Freispruch kam überraschend. Kroatien reagierte fassungslos.

Seselj galt wegen hasserfüllter Propaganda gegen Kroaten und Muslime als einer der schlimmsten Kriegstreiber. Die Anklage hatte wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in neun Punkten 28 Jahre Haft gefordert. Das aber wies das Gericht mit zwei zu einer Stimme zurück. Der Vorsitzende Richter Jean-Claude Antonetti sagte: „Mit diesem Freispruch ist Vojislav Seselj ein freier Mann.“

Seselj kündigte in Belgrad an, er werde eine Entschädigung von 14 Millionen Euro für seine elf Jahre dauernde Haftzeit verlangen. „Es war von Anfang an klar gewesen, dass ich unschuldig bin“, sagte der Vorsitzende der großserbischen Radikalen Partei (SRS). Er hatte sich dem Gericht 2003 selbst gestellt, war aber 2014 wegen einer Krebserkrankung vorläufig aus der Haft entlassen worden und nicht bei der Urteilsverkündung in Den Haag anwesend.

Schockiert reagierten Medien in Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Kroatiens Regierungschef Tihomir Oreskovic erklärte: „Das Urteil ist eine Schande, eine Niederlage für das Haager Gericht“. Nach diesem Urteil, so kommentierte die kroatische Zeitung „Jutarnji list“, „sollte man das Gericht sofort schließen und die eingesparten Millionen für die Exhumierung der Massengräber verwenden“.

Ungewöhnlich hart begründete auch die aus Italien stammende Richterin des UN-Tribunals, Flavia Lattanzi, ihre schriftlich vorgelegte Ablehnung des Urteil. „Alle Regeln des internationalen humanitären Völkerrechtes und die bisherige Rechtsprechung des Tribunals“ seien ignoriert worden.

Das Urteil ist zugleich eine große Schlappe für die Anklage. Die Richter kritisierten die Beweisführung ungewöhnlich scharf als unzureichend.

Als einflussreicher Politiker hatte Seselj seit Beginn der 90er Jahre den Plan eines Groß-Serbien propagiert, in dem Kroaten und Muslime keinen Platz hätten. „Dieser Plan aber ist politisch zu beurteilen und sicher nicht kriminell“, erklärte Richter Antonetti. Auch gebe es keine Beweise, dass seine Hass-Reden serbische Milizen zu Kriegsverbrechen angestachelt hätten. Der Nationalist hatte über sie demnach auch keine Befehlsgewalt.

Die Anklage erwägt, Berufung einzulegen. Das Urteil entspreche nicht der bisherigen „konsistenten Rechtsprechung des Tribunals,“ teilte Chefankläger Serge Brammertz mit.

Erst vor einer Woche war der ehemalige bosnische Serbenführer Radovan Karadzic zu 40 Jahren Gefängnis unter anderem wegen des Völkermordes in Srebrenica verurteilt worden. In ihrer Urteilsbegründung hatten diese Richter mehrfach auch auf die Verantwortung von Seselj hingewiesen.

Nach Ansicht der bekannten serbischen Menschenrechtsaktivistin Natasa Kandic wird das Urteil einer Berufung nicht standhalten. „Einige Begründungen widersprechen dem gesunden Menschenverstand“, sagte sie der Belgrader Nachrichtenagentur Beta.