Innerpolitischer Druck Vergifteter Ex-Doppelagent: London ringt um eine Reaktion

London (dpa) - Nach dem Attentat mit Nervengift auf den russischen Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter in England ringt die britische Regierung um eine angemessene Reaktion.

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Die Spekulationen, es handele sich um einen aus Moskau organisierte Tat, wollten in Großbritannien nicht abreißen. London gerät damit innenpolitisch unter Druck, konkrete Konsequenzen anzukündigen. Doch bislang fehlen Beweise, um einen Täter zu überführen.

Am Donnerstag versuchte die Regierung erst einmal, Druck herauszunehmen. Die Öffentlichkeit verlange zu Recht, dass die Verantwortlichen identifiziert und zur Rechenschaft gezogen würden, sagte ein Sprecher der Premierministerin Theresa May. Es handele sich um ein „widerwärtiges und skrupelloses Verbrechen“. Gleichzeitig mahnte er, es sei wichtig, Spekulationen zu vermeiden, bis die Ermittler harte Fakten auf den Tisch legen könnten.

Innenministerin Amber Rudd versicherte im Parlament am Donnerstag, die Regierung werde „robust und angemessen“ reagieren, sobald klar sei, wer hinter der Tat stecke. „Das war versuchter Mord auf eine höchst grausame und öffentliche Art“, sagte Rudd. Doch auch sie warnte vor voreiligen Schlüssen.

Zuvor hatte sie selbst den Spekulationen neue Nahrung gegeben, als sie in einem BBC-Radiointerview bestätigte, es handle sich bei dem verwendeten Nervengift um einen sehr seltenen Stoff. Britische Medien folgerten, das erhöhe die Wahrscheinlichkeit, das Attentat sei von Moskau in Auftrag gegeben worden. Für die Herstellung komplexer Giftstoffe sei schließlich ein hohes Maß an Mitteln und Kenntnissen erforderlich.

Die Polizei hatte am Mittwoch erklärt, Skripal und seine Tochter Yulia seien die Opfer eines gezielten Angriffs mit Nervengift geworden. Es werde nun wegen versuchten Mordes ermittelt. Über die mutmaßlichen Täter und wie das Gift verabreicht wurde, war zunächst nichts bekannt.

Die beiden waren am Wochenende mit Vergiftungserscheinungen im englischen Salisbury aufgefunden worden. Sie kämpfen seitdem in einem Krankenhaus um ihr Leben. Ein britischer Polizeibeamter, der zu Hilfe eilte und ebenfalls erkrankt ist, sei ansprechbar, sagte Rudd. Sein Zustand sei aber weiterhin ernst.

Der Fall erinnert an den Mord am Kremlkritiker Alexander Litwinenko im Jahr 2006. Er wurde mit radioaktivem Polonium vergiftet. Die Labour-Abgeordnete Yvette Cooper forderte die erneute Untersuchung von 14 Todesfällen aus den vergangenen 20 Jahren, bei denen Medien über eine Beteiligung russischer Agenten spekulieren.

Der Fall hat inzwischen einen diplomatischen Schlagabtausch zwischen Moskau und London ausgelöst. Das Außenministerium in Moskau warf den britischen Behörden eine russlandfeindliche Kampagne vor. Noch vor Klärung der Fakten würden Vorwürfe gegen Russland erhoben, sagte Ministeriumssprecherin Maria Sacharowa am Mittwoch.

Premierministerin Theresa May stellte am Mittwoch dagegen den Besuch britischer Politiker und Würdenträger bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland im Sommer infrage, sollte sich herausstellen, dass Moskau hinter dem mutmaßlichen Attentat steckt.

Doch das geht vielen nicht weit genug: Schon gibt es Forderungen, russische Diplomaten und mutmaßliche Spione auszuweisen. Doch das hatte schon nach dem Giftmord an Litwinenko keine Wirkung gezeigt.

Auch weitere Maßnahmen könnten sich als wirkungslos erweisen, wie die BBC in einem Bericht auflistet. Sich für eine Verschärfung der EU-Sanktionen gegen Russland einzusetzen, könnte für London in Zeiten des Brexits schwierig werden. Die Einreisebestimmungen für russische Staatsbürger zu verschärfen, könnte auch Oppositionelle in Russland treffen, die Schutz in Großbritannien suchen, und Oligarchen daran hindern, ihr Geld in Londoner Immobilien zu investieren. Doch für London geht es vor allem darum, nicht hilflos auszusehen.