Ausland Was aus dem Arabischen Frühling wurde
Vor fünf Jahren begannen die Menschen im Nahen Osten und Nordafrika ihre Diktatoren davonzujagen. Eine Bilanz der „Arabellion“.
Düsseldorf. Gegensätzliche Meinungen, noch dazu ungebeten und laut vorgetragen, hört die saudi-arabische Dynastie der Sauds nicht gern. Den 29 Millionen Untertanen der Golfmonarchie sind Demonstrationen grundsätzlich verboten.
König Abduallah (1924-1915) fackelte deswegen im Januar 2011 nicht lange, als sich in zwei östlichen Provinzen seines sandigen Reiches Menschen vor allem aus der schiitischen Minderheit mit Forderungen nach religiöser und politischer Selbstbestimmung zu Wort meldeten. Der Monarch ließ gnadenlos auf die Demonstranten schießen, dutzende starben; andere landeten im Gefängnis und wurden dort gefoltert.
Nach kurzer Zeit war der Arabische Frühling, wie die Aufstände im Nahen Osten und in Nordafrika genannt werden, in Saudi-Arabien beendet. Endgültig beerdigt wurden die Träume von Selbst- oder zumindest Mitbestimmung aber am 2. Januar dieses Jahres. Gemeinsam mit drei weiteren Aktivisten und 43 verurteilten Al-Kaida-Terroristen wurde der Geistliche und Bürgerrechtler Nimr al-Nimr (1959-2016) hingerichtet. Am internationalen Protest störte sich König Abdullahs Nachfolger Salman wenig; in seinem Königreich traute sich ohnehin niemand mehr, seine Stimme gegen den politischen Mord zu erheben.
Im Gegensatz zu Saudi-Arabien wird in anderen Ländern der Region der Arabische Frühling nicht totgeschwiegen. In Tunesien, von wo aus sich die „Arabellion“ vor fünf Jahren wie ein Flächenbrand ausgebreitet hatte, scheint die Geschichte sich zu wiederholen. Am 14. Januar 2011 floh der damalige Präsident des Landes, Zine El Abidine Ben Ali (heute 79), nach monatelangen Protesten mit mehr als 300 Toten außer Landes — nach Saudi-Arabien. Zum Jahrestag der Rebellion und angesichts massiv steigender Preise für Lebensmittel gab es vorige Woche Massenproteste in der Hauptstadt Tunis, die von schwer bewaffneten Polizisten in Schach gehalten wurden. Seit November gilt im Land ein Ausnahmezustand.
Ausgelöst wurde die „Jasmin-Revolution“ in Tunesien durch den Tod des Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi, der sich am 17. Dezember 2010 in seiner Verzweiflung über die Willkür der Behörden mit Benzin übergoss und selbst in Brand steckte. Mit der Flucht Ben Alis begann in Tunesien ein Demokratisierungsprozess mit freien Wahlen, der bis heute anhält. Voriges Jahr wurde das „Quartett für nationalen Dialog“ mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Das Land mit seinen knapp elf Millionen Einwohnern gilt trotz seiner immensen wirtschaftlichen Probleme und den wiederholter Anschlägen auf Touristen durch radikale Islamisten dennoch als einziger demokratischer Lichtblick in der gesamten Region.
In vielen anderen scheint die Situation fünf Jahre nach dem Beginn des Arabischen Frühlings eher schlimmer geworden zu sein.
Beispiel Libyen: Das Land mit 6,4 Millionen Einwohnern gilt als „failed state“ — als gescheitert. Es gibt zwei Parlamente und Regierungen. Erst zu Wochenbeginn verweigerte das international anerkannte Parlament der neu gebildeten Einheitsregierung seine Zustimmung. Die Hoffnung auf Frieden schwindet — nach dem Sturz des Langzeitherrschers Muammar al-Gaddafi (1942-2011) im August 2011 kommt das Land nicht zur Ruhe. Die Terrormiliz Islamischer Staat kontrolliert mittlerweile ganze Landstriche.
Beispiel Jemen: Heute vor fünf Jahren brachen erste Massenproteste aus, die zum Sturz des Präsidenten Ali Abdullah Saleh (heute 73) führten. Seitdem ist das 1990 wiedervereinte Land nicht zur Ruhe gekommen. Schiitische Huthi-Rebellen kämpfen gegen die Truppen einer sunnitisch geführten Regierung. Die von Saudi-Arbien angeführte Militärkoalition bombardiert gleichermaßen Huthi-Rebellen wie Zivilbevölkerung. Tausende sind bisher ums Leben gekommen.
Beispiel Syrien: Im März 2011 begannen Teile der rund 20 Millionen Syrer einen Aufstand gegen Präsident Baschar al-Assad (50), der sich zum Bürgerkrieg entwickelte, bei dem bisher rund eine Viertelmillion Menschen getötet wurde. Zwölf Millionen Syrer sind auf der Flucht vor den Kämpfen zwischen Rebellen, Radikal-Islamisten, Regime-Truppen, kurdischen Volksverteidigungseinheiten, Hisbollah-Miliz, iranischen Revolutionsgarden und russischer Luftwaffe.
Beispiel Ägypten: Dort ersetzt Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi (61) den 2011 gestürzten und 2012 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilten Machthaber Husni Mubarak (87). Allerdings gab es einen Zwischenpräsidenten: Den 2012 gewählten Islamisten Mohammed Mursi (64) putschte Sisi 2013 aus dem Amt. Mehr als 83 Millionen Ägypter müssen seitdem seinen harten Kurs gegen Kritiker und Moslembruderschaft erdulden. Auf Mursi wartet der Henker.