Wer bestellte die Killer von Kiew?

Telefonmitschnitt weist auf mögliche Verstrickung der Opposition hin. Mörder sollen auch auf Revolutionäre geschossen haben.

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Kiew. Die Bilder zeigen die hässlichste Seite der ukrainischen Revolution: blutende Körper, Leichen, prügelnde Polizisten, in Panik flüchtende Menschen. Im Hintergrund sind die eher emotionslosen Stimmen der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton und des estnischen Außenminister Urmas Paet zu hören. Dann sagt Paet den Satz, der die politische Szene in Kiew in Aufruhr versetzt: „Verstörend ist, dass die gleichen Scharfschützen Menschen auf beiden Seiten (der Barrikaden) getötet haben sollen.“

Haben die Sniper, die Ende Februar in die protestierende Menschenmenge auf dem Maidan feuerten, womöglich nicht im Auftrag des abgesetzten Präsidenten Viktor Janukowitsch, sondern auf Befehl der Opposition gehandelt? Dieser ungeheuerliche Verdacht steht im Raum, seit Unbekannte auf der Internet-Plattform YouTube ein Video veröffentlichten, das einen illegalen Mitschnitt des Ashton-Paet-Telefonats mit Bildern der Maidan-Morde unterlegt. Die estnische Botschaft in Kiew hat die Echtheit des Gesprächs inzwischen bestätigt.

Für die YouTube-Veröffentlichung wird als Quelle der ukrainische Geheimdienst SBU angegeben. Der estnische Botschafter Sulev Kannike machte Russland für den Lauschangriff verantwortlich. Unstrittig ist, dass der Verdacht die ukrainische Interimsregierung bei der Bevölkerung dramatisch in Misskredit bringen würde. Dies würde dem Kreml in die Hände spielen. Paet bestritt deshalb vehement, er mache die siegreiche Opposition für den Massenmord auf dem Maidan verantwortlich. Er habe nur Hörensagen wiedergegeben.

Dieses Hörensagen aber hat es in sich. Paet gibt in dem Telefonat Einschätzungen der Kiewer Ärztin Olga Bogomolets wieder, die im Februar auf dem Maidan Verletzte behandelt hat. Sie gilt als unbestechlich. So lehnte sie ein Angebot der Opposition ab, ein Ministeramt in der Übergangsregierung zu übernehmen. Begründung: Es gebe zu viele Männer und Frauen in deren Reihen, „die eine schmutzige Vergangenheit haben, wie die Janukowitsch-Leute auch“.

Bogomolets, so teilt Paet mit, fand in den Körpern erschossener Demonstranten und getöteter Polizisten der berüchtigten Sondereinheit Berkut die gleiche Munition. „Sie hat mir Fotos gezeigt und könne als Ärztin nur sagen, dass die Morde (auf beiden Seiten) dieselbe Handschrift tragen“, berichtet der estnische Minister über ein Treffen mit Bogomolets.

Weiter sagt Paet unter Berufung auf die Ärztin zu Ashton: „Es ist im höchsten Maße verstörend, dass die neue Regierung nicht untersuchen lassen will, was wirklich passiert ist. Es wird immer wahrscheinlicher, dass hinter den Scharfschützen nicht Janukowitsch stand, sondern jemand von der neuen Koalition.“

Der Befund, dass die Opfer auf beiden Seiten der Barrikaden mit der gleichen Munition getötet wurden, kann auch darauf zurückgeführt werden, dass die Revolutionäre sich im Laufe der Kämpfe die Waffen der Berkut-Polizisten aneigneten. Sollte Bogomolets jedoch mit der These recht haben, dass die Scharfschützen sowohl Sonderpolizisten als auch (deutlich mehr) Maidan-Revolutionäre ermordeten, lässt dies auf besondere Skrupellosigkeit schließen.