Zeitung: NSA sammelt Ortsdaten von Hunderten Millionen Handys

Washington (dpa) - Der NSA-Skandal hat eine neue Dimension erreicht: Der US-Geheimdienst speichert laut einem Bericht der „Washington Post“ die Aufenthaltsorte Hunderter Millionen Handy-Nutzer. Pro Tag würden weltweit rund fünf Milliarden Datensätze gesammelt, schrieb die Zeitung am Mittwoch.

US-Beamte bestätigten die Existenz des Programms, äußerten sich aber nicht zu den Zahlen. Die NSA könne Mobiltelefone überall auf der Welt aufspüren, ihren Bewegungen folgen und Verbindungen zu anderen Handy-Nutzern aufdecken, schrieb die Zeitung unter Berufung auf Unterlagen aus dem Fundus des Informanten Edward Snowden.

Das Weiße Haus nahm nur indirekt Stellung. Geheimdienstbeamte hätten versichert, im Zuge des Programms seien keine Lokalisierungen von Handys in den USA vorsätzlich gespeichert worden, sagte Regierungssprecher Jay Carney am Donnerstag. Allgemein fügte er hinzu, falls es Spannungen mit anderen Ländern wegen der Überwachung gebe, werde dies auf diplomatischen Weg diskutiert.

Die Ortungsinformationen kämen aus internen Daten der Mobilfunk-Anbieter, hieß es in dem Zeitungsbericht. Die Netzbetreiber verfügen über ausführliche Angaben über den Aufenthaltsort von Handys, zum Beispiel um Roaming-Gebühren abzurechnen. Der Zeitung zufolge tauschen sie diese Daten auf breiter Front untereinander aus, so dass es der NSA ausreiche, das System an wenigen Stellen anzuzapfen.

Damit hat die Überwachung nichts mit den GPS-Ortungschips oder den Internet-Verbindungen moderner Smartphones zu tun, sondern es wären alle Mobiltelefone bis hin zum einfachsten Handy betroffen. Die Mobiltelefone sind permanent im Kontakt mit den Netzen, auch wenn sie gerade nicht für Anrufe verwendet werden.

Die Standort-Informationen werden in einer gewaltigen Datenbank gespeichert. Der Strom der Informationen sei so gewaltig, dass er die Fähigkeiten übersteigt, die Daten „aufzunehmen, zu verarbeiten und zu speichern“, zitierte die Zeitung eine NSA-Präsentation von Mai 2012. Die NSA sei daraufhin zu einem System mit mehr Kapazitäten gewechselt. Der Geheimdienst sammele so viele Daten wie er könne.

Von den seit Juni enthüllten Spähprogrammen sei diese Sammlung und Analyse von Standortdaten wohl im „Umfang und möglichen Auswirkungen auf die Privatsphäre unübertroffen“, schrieb das Blatt.

Der Grünen-Netzpolitiker Konstantin von Notz sieht in dem Bericht eine „verheerende Neuigkeit“. Der Staat müsse dafür sorgen, dass sich die Menschen eine solchen Überwachung entziehen könnten, sagte er im RBB-Inforadio. „Vor allem müssen die Geheimdienste an die Kandare genommen werden, dass sie nicht unverdächtige Bürger überwachen.“ Die Piratenpartei kritisierte die Pläne der Großen Koalition für eine Vorratsdatenspeicherung. Der SPD-Abgeordnete Gerold Reichenbach plädierte dafür, die Standortdaten aus der Vorratsdatenspeicherung auszuklammern. „Sonst legalisieren wir in Deutschland NSA-Praktiken“, schrieb er beim Kurznachrichtendienst Twitter.

Die US-Geheimdienstler betonten im Gespräch mit der „Washington Post“, dass das Programm rechtmäßig sei. Das Ziel der Überwachung seien „Ziele im Ausland“. US-Bürger würden nicht gezielt überwacht. Die Behörde gelangt jedoch im Zuge der Überwachung quasi als Nebenprodukt an große Mengen von Daten von US-Telefonen. Die Analyseprogramme unter dem Codenamen „Co-Traveller“ durchkämmten Milliarden von Datensätzen nach überstimmenden Bewegungsmustern von Terrorverdächtigen.

Datenschützer finden die Speicherung von Standortdaten seit langem besonders problematisch. „Eine der wichtigsten Komponenten von Ortsdaten ist, dass die Gesetze der Physik verhindern, sie überhaupt geheim zu halten“, sagte Chris Soghoian von der US-Bürgerrechtsunion ACLU.