Die Silvesternacht von Köln Hundert Tage Untersuchungsausschuss: Das Leid der Opfer kommt kaum vor

Im „Untersuchungsausschuss Silvesternacht“ des Landtags geht es um Vieles: etwa um das Versagen der Polizei und den Kopf des Innenministers. Um das Schicksal Hunderter gedemütigter Frauen geht es eher selten.

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Düsseldorf. Die massenhaften Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht haben ganz Deutschland geschockt. Wie konnten Hunderte Frauen am Kölner Hauptbahnhof inmitten Männer-Pulks gedemütigt, belästigt, beraubt, teils sogar vergewaltigt werden, ohne dass Polizisten das Ausmaß erkennen, geschweige denn stoppen konnten? Das versucht der „Untersuchungsausschuss Silvesternacht“ des Düsseldorfer Landtags zu ergründen - am 28. Mai seit 100 Tagen und bis dahin mit rund 40 Zeugen.

In dem 26-köpfigen Gremium geht es um Vieles: um Aufklärung, künftigen Opferschutz, aber auch um Parteipolitik und den Kopf des nordrhein-westfälischen Innenministers Ralf Jäger (SPD). Die Opposition will den 55-Jährigen für das Versagen der Polizei in Organisationsverantwortung nehmen.

Jäger lehnt jedoch persönliche Konsequenzen ab und hat stattdessen den Kölner Polizeipräsidenten ablösen lassen. Obwohl damit längst nicht alles geklärt ist, hat die Opposition bislang aber kein verfängliches Indiz zutage gefördert, das Jäger zum Rücktritt zwingen würde.

Auch Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) wird von CDU und FDP ins Visier genommen. Sie soll dem Ausschuss in den nächsten Wochen als Zeugin erklären, warum sie erst Tage später die Dimension des Silvester-Fiaskos erkannt und noch später persönliche Worte dafür gefunden hat.

Den Piraten geht das - obwohl sie von Anfang an den Rücktritt des Innenministers verlangt hatten - zu weit. „Ich will mir gar nicht vorstellen, was in den Opfern vorgeht“, sagt ihre stellvertretende Landtagsfraktionschefin Simone Brand der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf. CDU und FDP verstrickten sich im kleinen Karo mit dem Ziel, die Regierung Kraft bis zur Landtagswahl in einem Jahr zu demontieren. In diese Richtung würden alle Zeugenaussagen interpretiert. „Ich schäme mich dafür“, bilanziert die Diplom-Psychologin die bisherige Außenwirkung des Gremiums.

Die Opfer haben im Ausschuss keine Stimme. Ihr Schicksal lässt sich hinter den nüchternen Zahlen der Kölner Staatsanwaltschaft kaum erahnen: Bis zum Ende vergangener Woche lagen 1171 Strafanzeigen vor, davon 491 wegen sexueller Übergriffe. Bislang wurde noch keiner wegen eines Sexualdelikts verurteilt. Juristen halten das angesichts der dünnen Beweislage aus jener Nacht, in der Frauen - eingekesselt in großen Männergruppen - von ungezählten Händen begrapscht wurden, auch für schwierig. Von bislang 159 Beschuldigten sind fast zwei Drittel Algerier und Marokkaner.

Aus den bisherigen Zeugen-Aussagen zeichnet sich ein Zuständigkeitswirrwarr zwischen Landes- und Bundespolizei, städtischen Behörden und Bahn-Verantwortlichen ab. Kommunikation und Sicherheit blieben dabei auf der Strecke.

In den jeweiligen Hierarchien gab es zwar viele Häuptlinge, die am Silvesterabend jeweils in ihren eigenen Zirkeln konferierten. Aber keiner bekam mit, dass sich derweil vor dem Hauptbahnhof schon Hunderte teils stark alkoholisierte, aggressive junge Migranten zusammenrotteten. Und keiner hielt am Ende die Fäden in der Hand.

Eine erstaunliche Lehre aus einer Zeugenaussage des Kölner Ordnungsamtschefs: Die Stadt hatte kein Sicherheitskonzept, weil Silvester keine ordentliche Veranstaltung ist, und es damit auch keinen offiziellen Veranstalter gibt. „Alle haben ihre Choreographie durchgezogen wie sie es immer gemacht haben“, bilanziert Piratin Brand. Dies stellt auch der Ausschussvorsitzende Peter Biesenbach fest: „The same procedure as every year“ - dieselbe Prozedur wie jedes Jahr, sei in der Silvesternacht offenbar das Motto gewesen.

Die Polizei will das nicht auf sich sitzenlassen. „Es war die Politik, die verhindert hat, dass genügend Polizisten eingestellt werden, damit die Polizei an den Brennpunkten der Gewalt Präsenz zeigen kann“, sagt der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Arnold Plickert, der dpa. „Es war die Politik, die dafür gesorgt hat, dass die Polizei selbst Serientäter immer wieder laufen lassen muss, weil ihre Taten als Jugenddelikte verharmlost werden.“