Analyse: Franzosen wärmen sich mit deutschem Strom
Trotz Atomausstiegs exportiert die Bundesrepublik ins Nachbarland.
Berlin/Paris. Die Bürger werden schon aufgefordert, abends auf das Anwerfen der Waschmaschine zu verzichten. Die seit Tagen anhaltende Eiseskälte treibt in Frankreich derzeit den Stromverbrauch in Rekordhöhen. Abends, wenn viele Franzosen nach Hause kommen und die zahlreich vorhandenen Stromheizungen anwerfen, werden bis zu 100 500 Megawatt an Leistung benötigt. Das neue Allzeithoch entspricht der Stromproduktion von mehr als 80 Atomreaktoren mit 1200 Megawatt Leistung. Zum Vergleich: Deutschland braucht abends lediglich eine Leistung von 50 000 Megawatt — trotz 15 Millionen Einwohnern mehr. Grund ist die viel geringere Anzahl an Stromheizungen.
Dass die französischen Energieversorger nun ausgerechnet aus der Bundesrepublik Stromhilfe benötigen, ist für die Regierung in Paris, aber auch für deutsche Atomlobbyisten bitter. In Frankreich war Deutschland für die überstürzte Stilllegung von acht Atommeilern belächelt worden. Nach dem Unfall in Fukushima führten zudem deutsche Energiemanager Stromimporte aus Frankreich als Beleg an, dass die Energiewende ein Irrsinn sei.
Nun leuchtet auf den Seiten der europäischen Übertragungsnetzbetreiber fast zu allen Tageszeiten Deutschland gelb — das bedeutet, es gibt einen Exportüberschuss beim Strom. Ein Teil geht eben nach Frankreich — sein Bedarf kann nicht mehr mit eigenen Kraftwerken gedeckt werden, trotz derzeit 55 Atomkraftwerken, die eine Leistung von rund 60 000 Megawatt haben. Frankreichs Energieminister Eric Besson betont, dass die aktuelle Lage eine Ausnahmesituation sei: „Über das Jahr gesehen sind wir Stromexporteur.“
Die aktuelle Situation ist aber auch in anderer Hinsicht trügerisch. Fallen mehrere Kraftwerke aus, könnte sich auch in Deutschland die Lage anspannen. Das zeigt, wie unsicher die Situation im Zuge der Energiewende ist.
Den Großteil der deutschen Versorgung decken weiterhin konventionelle Kohle-, Gas- und Atomkraftwerke ab. Trotz fast 50 000 Megawatt an installierter Leistung bei Windkraft- und Solaranlagen liefern diese je nach Wetter teils nur 5000 bis 10 000 Megawatt Strom.