Deutsch-russischer Schulterschluss trotz Verstimmung
Hannover (dpa/lni) - Trotz des Debakels um den zurückgezogenen Quadriga-Preis für Wladimir Putin bauen Deutschland und Russland ihre Zusammenarbeit auf breiter Front aus.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Staatspräsident Dmitri Medwedew sprachen nach gemeinsamen Regierungsberatungen am Dienstag in Hannover von dichten Kontakten. Besiegelt wurden auch mehrere Wirtschaftsvorhaben.
„Es ist die gesamte Breite vertreten“, sagte Merkel mit Blick auf die Vereinbarungen nach den 13. deutsch-russischen Konsultationen. Dazu zählten zudem die kulturelle Zusammenarbeit, die Partnerschaft für die russische Modernisierung sowie Umweltverträge etwa zur Wiederherstellung russischer Torfmoore.
Medwedew verurteilte die Absage des Quadriga-Preises an den russischen Ministerpräsidenten Putin überraschend scharf. Die Entscheidung des Kuratoriums des Vereins Werkstatt Deutschland sei „feige und inkonsequent“. Wer einen solchen Entschluss fasse, müsse diesen auch durchziehen. „Ich glaube, dass der Preis am Ende ist - zumindest für die internationale Gemeinschaft.“
Merkel sagte: „Wir werden natürlich auch immer wieder schauen: Wie entwickelt sich die Lage der Menschenrechte in Russland?“ Gerade mit Blick auf anstehende Wahlen sei eine „faire Situation“ für die Presse wichtig. Medwedew sicherte offene und freie Abstimmungen zu. Russland wählt im Dezember ein neues Parlament und im März 2012 einen neuen Präsidenten in Direktwahl. Medwedew ließ weiter offen, ob er 2012 erneut kandidiert. „Es gilt, noch ein bisschen zu warten.“
Merkel stellte in Aussicht, dass deutsche Versorger im Zuge des Atomausstiegs und der Energiewende verstärkt auf russisches Gas zurückgreifen könnten. Auch aus Norwegen und Großbritannien beziehe Deutschland Gas. Doch die Bundeskanzlerin betonte: „Je günstiger das russische Gas angeboten werden kann, desto wahrscheinlicher ist, dass es auch gekauft wird.“
Die Kooperation in Energiefragen wollen Russen und Deutsche weiter vertiefen. Siemens unterzeichnete dafür Absichtserklärungen zur Modernisierung der Stromnetze und zum Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung in Russland. Der Autozulieferer Continental besiegelte den Vertrag zum Bau eines Reifenwerks in Kaluga, 170 Kilometer südwestlich von Moskau. Die KfW Entwicklungsbank und die russische Förderbank prüfen einen internationalen Fonds für kleine und mittlere Firmen.
Für russische Arbeitskräfte stellte Merkel Visa-Erleichterungen in Aussicht. „Ich hoffe, dass wir im kommenden Jahr hierzu was vorlegen können.“ Die Kanzlerin sprach sich für einen Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation WTO aus. Deutsche Firmen seien interessiert am Aufbau eines modernen Industriesektors. „Wir haben auch deutlich gemacht, dass wir natürlich rechtssichere Rahmenbedingungen in Russland brauchen, und dies wurde auch zugesagt.“
In der europäischen Schuldenkrise warnte Merkel vor der Hoffnung, das Stabilitätsproblem mit „einem spektakulären Schritt“ lösen zu können. Es bedürfe vielmehr eines „kontrollierten und beherrschbaren Prozesses“. Auch vom Gipfel der Staats- und Regierungschefs an diesem Donnerstag in Brüssel sei kein solcher „abschließender großer Schritt“ zu erwarten.
Merkel warb für eine internationale Verurteilung des gewaltsamen Vorgehens Syriens gegen Regimekritiker, um die seit Wochen gerungen wird. „Ein Signal wäre sehr wünschenswert.“ Medwedew betonte, die russische Position sei zurückhaltend. Mit Blick auf Libyen betonte die Kanzlerin, gemeinsame Überzeugung sei, dass Machthaber Muammar al-Gaddafi die Legitimation verloren habe. Mit militärischen Mitteln allein sei das Problem nicht zu lösen. Medwedew sprach sich für stärkere Bemühungen um eine friedliche Regelung aus.
Die SPD macht sich für eine Neuausrichtung der deutsch-russischen Beziehungen stark. „Die Menschenrechte, die gesellschaftliche Entwicklung in Russland, und was Deutschland dazu beitragen kann, sind in den letzten Jahren in den Hintergrund gerückt“, sagte SPD- Fraktionsvize Gernot Erler der „Saarbrücker Zeitung“ (Mittwoch).