Die FDP sucht nach ihrer Rolle — und streitet über Russland
Berlin. „Das Torpedo steht jetzt vor Ihnen“, witzelt der, auf den sich viele Blicke richten. Es ist Tag zwei beim Parteitag der FDP in Berlin-Kreuzberg, endlich ergreift Wolfgang Kubicki das Wort.
Wobei das nicht ganz richtig ist.
Der Mann, dem wegen seines Vorstoßes zur Lockerung der Russland-Sanktionen ein Zerwürfnis mit Parteichef Christian Linder nachgesagt wird, ist an beiden Tagen viel im Saal unterwegs, um in eigener Sache zu werben. Und wie so oft, wenn’s etwas eng wird, präsentiert sich der Schleswig-Holsteiner ganz als die liberale Unschuld vom Lande.
Bei der Aussprache zur Russlandpolitik liest die Delegierte Ruth Hohenadl ihm ein wenig die Leviten — sie ist eine von vielen, die das tut. Zwar habe jeder das Recht auf eine eigene Meinung, ruft die Frau aus Oberbayern. Aber sie habe kein Verständnis dafür, „wenn ausgerechnet aus dem Bundesvorstand ein Torpedo geschossen wird“. Ein Angriff nach dem Geschmack Kubickis, der daraufhin seinen Torpedo-Satz sagt. Er versucht, zu beschwichtigen: „Es gibt weder einen Machtkampf, noch ein Zerwürfnis zwischen Christian Lindner und mir. Im Gegenteil.“ Es gehe lediglich darum, welchen Schritt man für einen neuen Dialog mit Russland zuerst gehen müsse.
Fakt ist: Der Antrag des Bundesvorstands stellt sich klar hinter die Russland-Sanktionen, Parteivize Kubicki will hingegen die bisherigen Maßnahmen „einer kritischen Überprüfung“ unterziehen. Sein Änderungsantrag fällt eindeutig durch. Eine Niederlage. Überraschend kommt sie nicht, fast alle Redebeiträge stellen sich hinter die Position der Führung und damit hinter die Lindners. Zum Teil wird es in der Debatte sogar emotional und persönlich. Woraufhin Kubicki sich gezwungen sieht, noch einmal klarzustellen: „Ich habe weder russische Mandate, noch werde ich vom Kreml bezahlt.“
Auf dem Parteitag wird nicht ganz klar, inwieweit der Russlandstreit tatsächlich das Verhältnis von Kubicki und Lindner beschädigt hat. Nach dem Rauswurf der Liberalen aus dem Bundestag hat man vier Jahre fest zusammengehalten, und die FDP beweihräuchert sich auf ihrem Konvent vor allem selbst daran, den Wiedereinzug ins Parlament geschafft zu haben. Doch Lindner und Kubicki sind Alphatiere wie aus dem Lehrbuch. Man beäugt sich, es knistert zwischen beiden. An Tag eins des Parteitages herzen sie sich auf dem Podium, eingefangen von vielen Kameras. An Tag zwei schlürft Lindner anfangs gelangweilt aus seiner Tasse, Kubicki schaut grimmig in den Saal. Beide meiden zu viel Kontakt. Zu einem „Showdown“, wie manch einer glaubt hat, kommt es aber nicht. Was damit zu tun hat, dass die Positionen zu Russland in der Tat nicht weit auseinanderliegen — und die FDP im Moment größere Sorgen hat.
Die Geschichte des Wiederaufstiegs der Partei ist zu Ende erzählt. Man ist jetzt Opposition, da ist es jedoch schwer, den Wähler bei der Stange zu halten. In seiner Rede betont Lindner zwar: „Wir brauchen kein neues Narrativ.“ Doch gut eineinhalb Stunden lang versucht der Parteichef nichts anderes, als den Liberalen ihre neue Rolle einzuflößen. Über das Jamaika-Scheitern spricht er vor den 662 Delegierten deshalb lieber nicht. Er arbeitet sich stattdessen an Angela Merkel ab, die „Leadership“ vermissen lasse; Lindner positioniert die Partei klar pro-europäisch. Seine Hauptbotschaft ist aber: Deutschland ist zu verstaubt, zu verschnarcht, droht abgehängt zu werden. Die FDP müsse daher „das Zukunftslabor der deutschen Politik sein“.
Der neue innenpolitische Slogan dazu steht bereits auf der peppigen gelben Parteitagswand: „Innovation Nation“. Der ein oder andere Delegierter hat freilich ein Problem damit: „Wird das jetzt Englisch oder Deutsch ausgesprochen?“, fragt einer. Englisch.