Höheres Armutsrisiko Eine Million mehr befristete Jobs als vor 20 Jahren

Berlin (dpa) - Längerfristig hat die Zahl der befristet Beschäftigten in Deutschland stark zugenommen. Innerhalb der vergangenen 20 Jahre wuchs sie um mehr als eine Million auf rund 2,8 Millionen im vergangenen Jahr.

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Das geht aus einer Antwort des Statistischen Bundesamtes auf eine Anfrage der Linken im Bundestag hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. 2015 waren rund 2,7 Millionen Arbeitnehmer befristet beschäftigt.

Der Anteil der befristet Beschäftigten an allen abhängig Beschäftigten stieg seit 1996 von 6,4 auf 8,5 Prozent. Der Anteil wuchs mit leichten Schwankungen bis 2006 auf 8,4 Prozent und schwankte seither zwischen 8,2 und 8,9 Prozent.

Besonders oft sind 25- bis 34-Jährige befristet beschäftigt. Hier stieg der Anteil von 9,6 Prozent vor 20 Jahren über 16,6 Prozent 2006 bis 18,1 Prozent im vergangenen Jahr.

Berücksichtigt wurden alle abhängig Beschäftigten ab 25 Jahren. Jüngere Arbeitnehmer im Übergang von Schule oder Hochschule zum Arbeitsmarkt flossen nicht in die Statistik ein.

Der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands BDA, Steffen Kampeter, wies darauf hin, dass der Anteil der Befristungen seit mehr als einem Jahrzehnt nahezu konstant und insgesamt unter 9 Prozent geblieben sei. „Zudem erhalten mehr als zwei Drittel der befristet Beschäftigten eine Anschlussbeschäftigung“, sagte Kampeter der dpa. „Das unterstreicht, wie wichtig das Instrument als Beschäftigungsmotor ist.“

Die Linke-Politikerin Sabine Zimmermann, die die Anfrage gestellt hatte, forderte einen Stopp des „Befristungsirrsinns“. „Gerade bei jüngeren Menschen sorgen Befristungen dafür, dass sie elementare Dinge des Lebens nicht planen können, wie etwa eine Familiengründung“, sagte Zimmermann der dpa.

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach sagte, Arbeitnehmern bringe Befristung viele Nachteile. „Sie sind im permanenten Wartestand und schieben Wichtiges auf - vom Spargroschen bis zur Familiengründung. Und sie mucken nicht auf, aus Angst einen möglichen Anschlussvertrag zu gefährden.“

Die Arbeitgeber verteidigen befristete Beschäftigung, Teilzeit oder Zeitarbeit als Möglichkeit, das Arbeitsvolumen an „betriebliche Notwendigkeiten“ anzupassen, wie die BDA betont. Reguläre Jobs würden nicht verdrängt, die Schaffung neuer Jobs eher erleichtert.

Mehr als jeder dritte Betroffene arbeitet unfreiwillig befristet. Darauf wies das Statistische Bundesamt bereits im September hin. 36,5 Prozent gaben über alle Altersgruppen hinweg an, mangels Dauerstelle ein befristetes Arbeitsverhältnis eingegangen zu sein. 31,6 Prozent nannten einen Probevertrag als Grund. 25,7 Prozent befanden sich in Ausbildung. 6,2 Prozent hatten bewusst die Befristung gewählt.

Bei den Hilfskräften war der Anteil unfreiwillig Befristeter mit 50,4 Prozent zuletzt am höchsten. Laut einer Studie des Berliner Sozialforschers Stefan Stuth binden Unternehmen knappe Arbeitskräfte eher mit dauerhaften Verträgen - in Berufen mit hohem Reservoir an Arbeitskräften werde eher befristet beschäftigt.

Befristet Beschäftigte verdienen weniger als Arbeitnehmer mit unbefristetem Vertrag, wie das gewerkschaftsnahe Forschungsinstitut WSI in einer Studie festgestellt hatte. So seien 2015 15,5 Prozent der befristet Beschäftigten zwischen 20 und 34 wegen eines Haushaltseinkommens unter 60 Prozent des Durchschnitts von Armut bedroht gewesen - aber nur 7,5 Prozent derjenigen mit Dauervertrag.

Betroffen von Befristungen seien besonders Menschen ohne Berufsausbildung sowie Uni-Absolventen - seltener dagegen Absolventen einer dualen Berufsausbildung oder einer Fachhochschule, so das WSI. Auch Ausländer seien überdurchschnittlich oft befristet angestellt.

Zimmermann forderte: „Eine neue Bundesregierung muss endlich das Befristungsproblem angehen.“ Sachgrundlose Befristung gehöre abgeschafft, andere Befristungen eingedämmt. Auch SPD-Fraktionsvize Katja Mast sagte, sachgrundlose Befristungen müsse abgeschafft werden.