Gastprofessur in Düsseldorf: Gaucks Rede gegen Angst vor Zuwanderung

Der ehemalige Bundespräsident denkt als Gastprofessor an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität über das Eigene und das Fremde nach.

Foto: Sergej Lepke

Düsseldorf. Joachim Gauck zieht immer noch. Der ehemalige Bundespräsident löst bei seiner ersten Vorlesung als Gastprofessor der Heinrich-Heine-Universität Mittwochnachmittag in Düsseldorf nicht nur ein beachtliches Medieninteresse aus, sondern lockt auch reichlich Publikum an. Hörsaal 3A mit 600 Plätzen ist besetzt, drei weitere Säle, in die die Vorlesung übertragen wird, ebenso.

Gaucks Thema: Nachdenken über das Eigene und das Fremde. Die Rede ist ein Plädoyer gegen die Angst der Deutschen vor Zuwanderung. Ohne tagespolitische Bezugspunkte herzustellen, ruft das erste ostdeutsche Staatsoberhaupt die Bundesbürger auf, den Migranten nicht voller Selbstzweifel, sondern selbstbewusst zu begegnen.

Joachim Gauck in der Heinrich-Heine-Universität
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Der evangelische Theologe geht weit zurück. Fremde seien in der Geschichte der Menschheit immer auch als Feinde wahrgenommen worden. Fremde würden ausgegrenzt, entmenschlicht, oft vernichtet. Gauck nennt als Beispiel Ruanda in Afrika: Hutu töten Tutsi, weil sie einer anderen Gruppe angehören.

„Das Verhältnis zwischen dem Eigenen und dem Fremden scheint mir eines der schwierigsten politischen Probleme der Gegenwart“, so Gauck in seiner etwa einstündigen Vorlesung. Die Bildung von Nationalstaaten habe das Ganze noch schwieriger gemacht. „Es besteht die Gefahr einer Überhöhung der eigenen Ethnie, verbunden mit der scharfen Abgrenzung von anderen Staaten.“ Skepsis gegenüber einem auf Nationalismus aufbauenden Nationalstaat sei also mehr als angebracht.

Diese Skepsis reicht laut Gauck aber nicht aus. Denn in einer globalisierten und digitalisierten Welt, gebe es in allen westlichen Ländern eine Entwicklung, die sehr ernst genommen werden sollte: das Bedürfnis nach einer Verwurzelung im Eigenen. „Wir haben unterschätzt, dass viele Menschen so empfinden“, sagt der ehemalige Bundespräsident. Sie hätten Angst, in einer Gemeinschaft von Weltbürgern die eigenen Wurzeln zu verlieren. „Weil das Eigene ausgehöhlt zu werden droht, gesellt sich zu der Angst vor dem Fremden die Angst vor Entfremdung.“

Gauck ruft dazu auf, die Sehnsucht vieler Menschen nach Heimat zu akzeptieren. Er zitiert den österreichischen Schriftsteller Jean Améry, den das NS-Regime wegen seiner jüdischen Herkunft außer Landes getrieben hatte. Er habe Heimweh zu dem Land, das ihn doch verjagt habe. Améry sei klargeworden, wie sehr der Mensch Heimat braucht, „um sie nicht nötig zu haben“. Heimat, wäre sie ihm geblieben, hätte ihn weltläufiger gemacht.

Gauck diagnostiziert, dass die Deutschen sich allzu oft ihren Selbstzweifeln hingeben. Das sei einer Offenheit gegenüber den Fremden nicht förderlich. Stattdessen sollten die Bundesbürger stolz auf ihr Land sein. Nur selbstbewusst sei es möglich, den Migranten offen und neugierig zu begegnen. Maßstab für dieses Miteinander müssten aber westlich-liberale Wertvorstellungen sein. „Wir dürfen bei der Integration nicht davor zurückschrecken, die Werte der liberalen Demokratie zu verteidigen“, so Gauck. Falls nötig, müsse der Streit ausgetragen werden. „Denn Konfliktvermeidung ist kein guter Weg zum Kennenlernen.“