Analyse Grüne blicken etwas ratlos in die unwägbare Zukunft

In der Partei werden Stimmen für eine schwarz-grüne Minderheitsregierung laut. Realistisch ist ein solches Szenario aber nicht.

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Berlin. Neuwahlen, große Koalition, oder doch eine Minderheitsregierung? Vor dieser Ungewissheit stehen auch die Grünen. Auf dem Bundesparteitag am Samstag in Berlin will sich die Führung alle Eventualitäten offenhalten — Teile der Basis träumen dagegen schon mal von Schwarz-Grün.

Eigentlich sollte es auf dem Konvent um eine Entscheidung für oder gegen die förmliche Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union und den Liberalen gehen. Doch nach dem Jamaika-Aus herrscht Rätselraten, wie es nun weiter geht. Zumal die Grünen darauf wenig Einfluss haben. Insofern führt auch das Motto des Parteitags „Zukunft ist, was wir daraus machen“ etwas in die Irre.

In der ersten großen Aussprache nach der Bundestagswahl soll die debattierfreudige Basis ausführlich zu Wort kommen. Im Antrag des Vorstandes wird dazu noch einmal der schwierige Verlauf der Jamaika-Sondierungen rekapituliert und jene Marschmelodie bekräftigt, die Partei- und Fraktionsspitzen seit dem vorigen Sonntag unisono intonieren: „Wir Grüne sind und bleiben gesprächsbereit“.

Mit wem und für was genau, bleibt offen. Viele in der Partei indes hätten es gern schon jetzt konkreter. In einem Dringlichkeitsantrag aus dem Kreisverband Berlin-Pankow wird die Führung aufgefordert, die Duldung einer Minderheitsregierung aus CDU und CSU „ohne direkte grüne Regierungsbeteiligung“ zu prüfen. In einem weiteren Antrag von 20 Mitgliedern wird die Fortsetzung der Sondierungen mit der Union mit dem Ziel einer schwarz-grünen Minderheitsregierung verlangt. Parallel dazu sollten Gespräche mit der SPD „zur Tolerierung“ von Schwarz-Grün geführt werden.

Realistisch betrachtet haben solche Forderungen einstweilen aber kaum Chancen auf eine Parteitagsmehrheit. „Der Ball liegt nicht bei uns“, gibt der Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick vom linken Flügel zu bedenken. Seine Kollegin Annalena Baerbock hält das Tolerierungsmodell für weltfremd: Abstimmungserfolge gingen mit Union und Grünen nach Hause, Niederlagen blieben an der SPD hängen, sagt Baerbock. Wieder andere fragen sich, wozu es die Grünen noch bräuchte, würden die Sozialdemokraten ein schwarz-grünes Bündnis tolerieren. In den grünen Chefetagen hält sich der Glaube ohnehin in Grenzen, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Ende auf ein solches Experiment verfallen könnte. „Da ist eine große Koalition wahrscheinlicher“.

Durch die Unwägbarkeiten bei der Regierungsbildung liegt auch die künftige Personalaufstellung weiter im Nebel. Wegen der Sondierungen war die Neuwahl der Parteiführung auf Ende Januar verschoben worden, nun steht auch dieser Termin infrage. Käme es zeitnah zu einer neuen Bundestagswahl, bliebe der Vorstand wohl kommissarisch im Amt. Dabei hatte der Vorsitzende Cem Özdemir schon vor Monaten seinen Verzicht angekündigt. Viele Grüne wünschen sich Schleswig-Holsteins Agrarminister Robert Habeck zum Nachfolger. Doch der hält sich bedeckt. Simone Peter will zwar gern Co-Chefin bleiben. Aber ob es so kommt, ist ebenfalls ungewiss.

So sehen sich die Grünen zwar „gestärkt nach einem harten Wahlkampf und gestärkt nach noch härteren Sondierungen“, wie es Bundesgeschäftsführer Michael Kellner stolz formuliert. Nur kann die Partei mit dieser Stärke derzeit herzlich wenig anfangen.