Interview "Kassenpatienten werden besser versorgt als Privatversicherte"

Die Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen Doris Pfeiffer über Zwei-Klassen-Medizin, Gesundheitskarte und ihre Erwartungen an die GroKo.

Foto: Michael Kappeler

Berlin. Die gesetzlichen Krankenkassen stehen finanziell gut da. Ihre Reserven belaufen sich aktuell auf mehr als 19 Milliarden Euro. Doch es gibt auch genügend Probleme - von der Zwei-Klassen-Medizin bis hin zur elektronischen Gesundheitskarte. Unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter sprach darüber mit der Vorstandsvorsitzenden des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen (GKV), Doris Pfeiffer.

Frau Pfeiffer, warum schlägt sich die hervorragende Finanzlage der Kassen nicht in spürbaren Beitragssenkungen nieder?

Pfeiffer: Die Finanzlage ist sicher besser als erwartet. Und für 12,8 Millionen Versicherte sind die Beiträge zum Jahresanfang auch gesenkt worden…

Es gibt aber fast 73 Millionen gesetzlich Krankenversicherte.

Pfeiffer: Ja, aber davon zahlen 16 Millionen sogar gar keinen Beitrag, weil sie beitragsfrei familienversichert sind! Und man muss auch sehen, dass die Finanzlage von Kasse zu Kasse sehr unterschiedlich ist. Manche haben hohe Reserven, andere nicht. Reserven sind aber gut für schlechtere Zeiten.

Wie bewerten Sie die gesundheitspolitischen Vorhaben der großen Koalition?

Pfeiffer: Sicher gibt es da auch viel Positives. Ich vermisse aber eine grundlegende Reform, um das Gesundheitssystem auch in Zukunft stabil zu halten. Stichwort Krankenhäuser. In Regionen mit Überkapazitäten muss man auch den Mut zum Abbau von Kliniken haben. Hier fehlt es noch an der notwendigen politischen Konsequenz.

Verunsichern Sie damit nicht viele Patienten?

Pfeiffer: Natürlich muss es genügend Krankenhäuser geben. Es bedarf aber einer wachsenden Spezialisierung, um die Qualität zu verbessern. Im Ruhrgebiet zum Beispiel gibt es sehr viele Krankenhäuser, die auf zu vielen Feldern tätig sind, anstatt durch Konzentration mehr Qualität und Effizienz zu gewinnen.

Viele Menschen schätzen aber gerade eine wohnortnahe stationäre Behandlung.

Pfeiffer: Für die Basisversorgung, zum Beispiel bei Blinddarmentzündungen, brauchen wir natürlich eine wohnortnahe Versorgung. Aber wenn jemand Krebs hat, dann ist er froh über ein spezialisiertes Zentrum, in dem zum Beispiel eine Mindestanzahl von Operationen durchgeführt wird und deshalb auch die Behandlungsqualität besser ist. Dafür lohnt es sich, auch einen weiteren Weg auf sich zu nehmen.

In den letzten Wochen und Monaten wurde viel über die „Zwei-Klassen-Medizin“ im Land diskutiert. Machen Sie sich den Begriff zu Eigen?

Pfeiffer: Ja, aber in einem ganz anderen Wortsinn: Ich sage, die gesetzlich Versicherten werden besser versorgt als Privatpatienten. Denn in der gesetzlichen Krankenversicherung gibt es sehr hohe Anforderungen an die Qualität der Behandlung und an ihren Nutzen. Privatversicherte dagegen bekommen auch Leistungen, die nicht notwendig sind und sie möglicherweise auch unnötig belasten.

Dann sind die Privatkassen gar keine Konkurrenz für die „Gesetzlichen“?

Pfeiffer: Das Image der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich in den letzten Jahren jedenfalls deutlich verbessert. Über uns wurde meist im Zusammenhang mit Leistungs- und Qualitätsverbesserungen gesprochen, während es bei den Privaten häufig um Prämiensteigerungen ging.

Tatsache bleibt aber, dass Privatversicherte oft eher einen Arzttermin bekommen als gesetzlich Versicherte.

Pfeiffer: Das ist in der Tat ein Ärgernis. Von der neuen Regierung ist immerhin geplant, die Sprechstunden für gesetzlich versicherte Patienten zu erweitern. Luft nach oben gibt es sicher auch noch bei den Termin-Servicestellen bei den Kassenärztlichen Vereinigungen. Diese Servicestellen sind viel zu wenig bekannt.

Haben sie darüber mit dem neuen Gesundheitsminister Jens Spahn schon gesprochen?

Pfeiffer: Bisher noch nicht. Aber das wird kommen.

Was erhoffen Sie sich von Spahn?

Pfeiffer: Ich kenne Jens Spahn als sehr durchsetzungsstark. Ich setze darauf, dass er Probleme beherzt angeht und auch die Krankenhäuser nicht aus ihrer wirtschaftlichen Verantwortung entlässt.

Spahn hat bereits angekündigt, die elektronische Gesundheitskarte endlich voranzubringen. Wie weit sind wir von der digitalen Patientenakte noch entfernt?

Pfeiffer: Gegenwärtig werden bei den niedergelassenen Ärzten Geräte und Software installiert, um an das sichere Gesundheitsnetz angebunden zu werden. Bisher sind bereits 12.000 Arztpraxen angeschlossen,…

Das ist nur etwa jede achte Praxis.

Pfeiffer: …und Woche für Woche kommen rund 1500 neue Praxen dazu.

Und wann wird diese Karte so weit sein, dass zum Beispiel unnötige Doppeluntersuchungen oder gefährliche Wechselwirkungen bei Medikamenten vermieden werden können?

Pfeiffer: Das hängt davon ab, wann die Industrie die entsprechende Software dafür anbietet. Ich erwarte, dass das bis Ende 2019 der Fall sein wird und die elektronische Patientenakte dann starten kann.