Interview Lammert: "Politik ist eine hoch akrobatische Aufgabe"

Die Zahl der Nichtwähler steigt seit Jahren, die der Parteimitglieder sinkt. Und populistische Strömungen finden rasant Zulauf. Der CDU-Politiker Norbert Lammert gibt Antworten.

Bundestagspräsident Norbert Lammert meint, dass das schlechte Image der Politik nicht gerecht ist.

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Berlin. Die Politik ringt um Ansehen und Vertrauen. Das miserable Image sei jedoch unverdient, meint Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) im Gespräch mit unseren Berliner Korrespondenten Stefan Vetter und Hagen Strauß:

F: Herr Lammert, der gefälschte Lebenslauf der SPD-Abgeordneten Hinz sorgt für Schlagzeilen, genauso wie die Affäre um raffgierige Parlamentarier, die sich auf Steuerzahlerkosten teure Montblanc-Füller angeschafft haben.Sorgen Sie Sich um das Ansehen des Bundestages?

A: Selbstverständlich. Dass solche Vorgänge nicht zur Festigung unseres Ansehens in der Bevölkerung beitragen, liegt auf der Hand.


F: Sie selbst sollen auch einen teuren Füller gekauft haben. Was sagen Sie dazu?

A:
Ich muss mir den Schuh anziehen, auch wenn ich den Füller gar nicht selbst bestellt habe. Ich habe mich mit Erfolg dafür eingesetzt, auf die Bestellung solcher hochpreisigen Artikel zu verzichten. Offensichtlich müssen wir auch die Bestellpraxis grundlegend ändern. Derzeit erledigen das die Büromitarbeiter über ein so genanntes Sachleistungskonto. Wie sie damit konkret umgehen, wissen viele Abgeordnete oftmals nicht.

F: Es geht ja nicht nur um teure Füller. Die Auffassung ist weit verbreitet, dass sich Politiker vieles erlauben können, was man selbst nicht kann...

A:
Und umgekehrt sich manches nicht erlauben können, was andere für selbstverständlich halten. Wann immer wir zweifelhafte Vorgänge haben, greifen wir sie nachweislich auf und stellen die Fehler ab.

F: Bundestagsabgeordnete haben bereits nach vier Parlamentsjahren einen höheren Rentenanspruch als die meisten Arbeitnehmer nach ihrem gesamten Berufsleben. Ist das wirklich gerechtfertigt?

A:
Die Frage ließe sich auf viele Berufsgruppen münzen, was die Angemessenheit ihrer Bezüge und Versorgungsregelungen angeht. Das wird immer ein Streitgegenstand bleiben. Ich kann keine Spitzenbezüge von politischen Mandatsträgern erkennen. Schon gar nicht in Spitzenämtern. Und die Versorgungsansprüche haben wir zuletzt mehrfach gekürzt.

F: Fest steht, dass Politiker im Ansehen der meisten Bürger ganz weit hinten rangieren. Was läuft da grundsätzlich schief?

A: Dieses Schicksal teilen wir mit den Journalisten, die auch unverdientermaßen ein miserables Image haben.

F: Das ändert aber nichts am Problem.

A:
Richtig. Macht aber deutlich, dass dieser Befund kein exklusives Problem der Politik ist. Genauso wie der Vertrauensverlust der Parteien ganz sicher kein exklusives Problem der Parteien ist. Vielmehr betrifft es alle relevanten Institutionen: Banken, Gewerkschaften, Kirchen, Sport.

F: Was lässt sich dagegen tun?

A:
Jedenfalls helfen keine Image-Kampagnen. Alle Institutionen müssen sich darum bemühen, ihre Aufgaben so sorgfältig wie eben möglich zu erledigen. Einen genialen Befreiungsschlag gibt es da nicht.

F: Der Einzug der AfD in den nächsten Bundestag scheint fast schon sicher zu sein. Würde sich der Parlamentsalltag durch die Rechtspopulisten verändern?

A:
Das bleibt abzuwarten. Mir wäre es lieber, wenn wir rechts- oder linkspopulistische oder gar extremistische Parteien nicht hätten. Aber in den Parlamenten sind die Gruppierungen vertreten, die die Wähler dort sehen wollen. Das muss eine Demokratie aushalten. Gemessen an unseren Nachbarländern, die zum Teil eine viel längere demokratische Tradition haben, sind wir lange Zeit so etwas wie eine Insel der Seligen gewesen. Insofern ist das auch eine Form europäischer Normalisierung, die ich allerdings nicht für eine Errungenschaft halte.

F: Früher ist es den Volksparteien gelungen, viele gesellschaftliche Strömungen an sich zu binden. Warum gelingt das immer weniger?

A:
Das politische Interesse ist weiter groß. Aber weniger allgemein als früher. Es schlägt sich heute viel stärker zum Beispiel in Bürgerinitiativen nieder, die ein konkretes Anliegen haben. Das ist der Punkt: Die Differenzierung von Interessen und ihre hartnäckige Verfolgung hat ständig zugenommen - zulasten der Parteien.

F: Fürchten Sie um die Stabilität von Regierungen, weil Kompromisse immer schwieriger werden?

A:
Diesen Zielkonflikt müssen die Wähler für sich lösen. Oder sie liefern ihn eben nach einer Wahl im Parlament ab. Es ist nun einmal so, dass eine große Bandbreite von Positionen und Gruppierungen klare Mehrheitsbildungen erschwert, während umgekehrt Volksparteien der Vorwurf der Profillosigkeit gemacht wird.

F: Wie könnten die Volksparteien denn wieder interessanter werden?

A:
Die Volksparteien müssen den kunstvollen Spagat leisten zwischen der Wahrnehmung einer interessen-differenzierten Gesellschaft und der Notwendigkeit, daraus Konzepte zu entwickeln, um auch für kleine Gruppen attraktiv zu sein. Wir haben allerdings einen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsstand erreicht, der international nur von den allerwenigsten Ländern übertroffen wird. Darüber hinaus realistische politische Ziele zu entwickeln und zu vermitteln, ist eine hoch akrobatische Aufgabe.

F: Wann sind Sie zuletzt von den Parteien positiv überrascht worden?

A:
Nach der bedauerlichen Erklärung von Bundespräsident Joachim Gauck, nicht mehr erneut für das Amt zu kandidieren. Alle Parteien verhalten sich seitdem ausgesprochen diszipliniert. Niemand führt eine Personaldebatte - außer den Medien.