Minderjährige Flüchtlinge werden auf ganz Deutschland verteilt

Berlin (dpa) - Kinder und Jugendliche, die als Flüchtlinge alleine nach Deutschland kommen, sollen künftig im gesamten Bundesgebiet verteilt werden. Das sieht ein Gesetzentwurf aus dem Haus von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) vor, den das Kabinett beschlossen hat.

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Es ist ein Gesetz, um das lange gerungen worden war. Nicht so sehr auf politischer Ebene, sondern eher unter Sozialarbeitern und Pädagogen, die in ihrer täglichen Arbeit mit den schweren Schicksalen dieser ständig wachsenden Gruppe zu tun haben.

Denn auf der einen Seite will man diesen Minderjährigen, die oft durch die Flucht und meist auch ihre Erlebnisse in der Heimat seelischen Schaden genommen haben, nicht noch einen erzwungenen Ortswechsel zumuten. Auf der anderen Seite sind die Jugendämter in Städten wie München, Passau, Dortmund und Berlin, wo besonders viele Minderjährige ankommen, so überlastet, dass an eine vernünftige Versorgung der jungen Flüchtlinge dort kaum noch zu denken ist.

„Im vergangenen Jahr hatten wir gut 2500 Neuankömmlinge, da sind wir schon an unsere Grenzen gestoßen. In diesem Jahr rechnen wir mit rund 10 000, das übersteigt einfach das Maß dessen, was eine Stadt wie München leisten kann“, sagt der Leiter der Geschäftsstelle der Diakonie Jugendhilfe, Andreas Dexheimer, nach dem Beschluss in einem Pressegespräch mit Schwesig in Berlin. Seinen Angaben zufolge geht es nicht nur um Geld, sondern vor allem darum, überhaupt an einem Ort genügend Dolmetscher, Pädagogen, Ärzte und Vormünder zu finden.

„Dann ist der Staat die Familie“, sagt Schwesig. Sie will die Argumente einiger Verbände, die einen Verbleib der Kinder in den Großstädten fordern, nicht gelten lassen. Deshalb hat sie den Jugenddezernenten des Landkreises Vorpommern-Greifswald, Dirk Scheer, eingeladen. Er sagt, sein Landkreis sei bereit, junge Flüchtlinge aufzunehmen und zu betreuen. „Für unseren dünn besiedelten Landkreis ist das auch eine Chance.“ Denn trotz ihrer schwierigen Lebenslage seien die meisten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge lernwillig und motiviert, eine Ausbildung zu machen.

Die Umverteilung von zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen in andere Kommungen und Länder gab es bisher nur für erwachsene Asylbewerber. Sie erfolgt nach dem sogenannten Königssteiner Schlüssel. Dieser legt fest, welchen Anteil von Asylbewerbern jedes Bundesland aufnehmen muss. Für Minderjährige war diese Verteilung bisher verboten, weil man für sie möglichst rasch eine stabile Umgebung schaffen wollte.

Schwesig hat bei der Formulierung des Gesetzes versucht, einen Kompromiss zwischen den Interessen der Länder und Kommunen und den Bedürfnissen der Kinder zu finden. Das neue Gesetz sieht vor, dass innerhalb von zwei Wochen über den neuen Wohnort des jungen Flüchtlings entschieden werden soll. Sollte sich dieser Prozess länger als einen Monat hinziehen, dann bleibt der Betroffene an seinem ursprünglichen Ort. Geschwister sollen zusammenbleiben dürfen. Auch Gruppen von Jugendlichen, die sich auf der Flucht kennengelernt und Freundschaft geschlossen haben, sollen nach Möglichkeit nicht getrennt werden.

Trotzdem kommt aus Verbänden und Hilfsorganisationen Kritik. Der Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge warnt: „Zwang, Nicht-Informationen, Nicht-Beteiligung und Transit-Wartezeiten werden die Jugendlichen dazu treiben, ihre eigenen, gefahrvollen Wege zu suchen.“ Die Grünen warfen Schwesig vor, sie mache sich „zur Handlangerin der CSU, die fast schon hysterisch Stimmung gegen die Aufnahme von Flüchtlingskindern macht“.

Ende Mai wurden nach Angaben des Familienministeriums bundesweit 22 092 minderjährige Flüchtlinge betreut. Das waren 23 Prozent mehr als zu Jahresbeginn.