Analyse Regierungspläne: Vier Milliarden Euro gegen Langzeitarbeitslosigkeit
Schwarz-Rot plant einen großen Wurf zur Schaffung eines sozialen Arbeitsmarkts. Forscher sehen das positiv.
Berlin. Die große Koalition plant einen sozialen Arbeitsmarkt zur Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen. Experten warnen jedoch vor bloßer Beschäftigungstherapie.
Obwohl die Arbeitslosigkeit in Deutschland in den letzten Jahren insgesamt deutlich zurückgegangen ist, hat sich an der Zahl der Langzeitarbeitslosen nur wenig geändert. Aktuell sind knapp 900 000 Personen betroffen. In ihrer neuen Koalitionsvereinbarung streben Union und SPD nun „Vollbeschäftigung“ an — und einen großen Wurf in Sachen Langzeitarbeitslose.
Mit einem Kostenaufwand von immerhin vier Milliarden Euro sollen in den nächsten dreieinhalb Jahren bis zu 150 000 Betroffene in ein sozialversicherungspflichtig bezuschusstes Arbeitsverhältnis insbesondere bei Kommunen und gemeinnützigen Einrichtungen kommen. Es gehe darum, Langzeitarbeitslosen eine „langfristige Perspektive auf einem sozialen Arbeitsmarkt anzubieten“. Mit diesen Worten bekräftigte der neue Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gestern noch einmal das Vorhaben.
Der Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Ulrich Walwei, hält diesen Kursschwenk im Grundsatz für sinnvoll. „Realistischerweise muss man sagen, dass ein Teil der erwerbsfähigen Menschen schon so weit weg ist vom Arbeitsmarkt, dass es erst einmal eine persönliche Stabilisierung braucht. Das geht mit einem sozialen Arbeitsmarkt“, sagte er unserer Redaktion. Nach IAB-Schätzungen handelt es sich um bis zu 200 000 Betroffene. Allerdings komme es sehr auf die Ausgestaltung der schwarz-roten Pläne an.
FDP sieht in den Plänen einen „Weg in die Sackgasse“
Bereits am Wochenende hatten Experten davor gewarnt, sich mit bloßer Beschäftigungstherapie zu begnügen. Damit gebe man das Ziel preis, die Betroffenen irgendwann wieder in reguläre Arbeit zu integrieren, meinte etwa der Wirtschaftsweise Christoph Schmidt. Gestern meldete sich auch die FDP zu Wort. Die Pläne der Groko würden „in eine Sackgasse führen und die Abhängigkeit von staatlichen Leistungen zementieren“, kritisierte der Sozialfachmann der Liberalen, Pascal Kober.
Auch Walwei sieht diese Gefahr. „Sinn der Arbeitsmarktpolitik kann nicht sein, die Leute auf dem sozialen Arbeitsmarkt zu parken.“ Vielmehr müsse „regelmäßig nach einem bestimmten Zeitraum, zum Beispiel nach 18 Monaten, überprüft werden, ob ein Betroffener auch auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen könnte“. Eine weitere Unwägbarkeit sieht Walwei dagegen weniger kritisch. Bei früheren Debatten über Sinn oder Unsinn eines sozialen Arbeitsmarktes wurde immer wieder eine drohende Konkurrenz von öffentlich geförderter Beschäftigung gegenüber regulären Jobs thematisiert. Hier müssten sich die Kommunen mit der regionalen Wirtschaft zusammensetzen, damit reguläre Beschäftigung nicht verdrängt werde, meinte Walwei. „Allerdings sollte man auch die Kirche im Dorf lassen: Es geht um Personen, die aufgrund ihrer persönlichen Umstände zunächst einmal wenig produktiv sind. Daher stellen sie auch keine übermäßige Konkurrenz für die private Wirtschaft dar.“