Kritik an Bundeswahlgesetz Trotz UN-Konvention: Viele Behinderte dürfen nicht wählen
Berlin (dpa) - Die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele, hat eine rasche Zulassung aller Menschen mit Behinderung zu allen Wahlen in Deutschland gefordert.
„Ich habe die Erwartung, dass dieses Thema nicht weiter auf die lange Bank geschoben wird, sondern in den nächsten Koalitionsvertrag aufgenommen und dann vom neuen Bundestag schnell angepackt wird“, sagte Bentele der Deutschen Presse-Agentur. Wahlrechtsausschlüsse seien „völlig absurd“ - auch wenn es sich um Menschen mit Behinderung handele, die in allen Angelegenheiten unter rechtlicher Betreuung stünden.
Nach dem Bundeswahlgesetz (Paragraf 13) ist vom Wahlrecht unter anderem derjenige ausgeschlossen, „für den zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten ein Betreuer ... bestellt ist“. Von dem Ausschluss sind in Deutschland an die 85 000 Menschen betroffen. Diese Position stehe weder im Einklang mit den Menschenrechten im Allgemeinen noch mit der UN-Behindertenrechtskonvention im Speziellen, betonte die Behindertenbeauftragte.
Diese Menschen sind in Deutschland sowohl von der Bundestagswahl als auch von der Europawahl ausgeschlossen. Und auch in den Bundesländern dürfen sie bei weitem nicht überall zur Wahlurne. Nur in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein ist dies möglich, Berlin plant eine entsprechende Änderung. In Europa ist diese Gruppe etwa die Hälfte der Länder von Wahlen ausgeschlossen.
Die Spitzenkandidatin der Grünen für die Bundestagswahl, Katrin Göring-Eckardt, erklärte: „Dass Menschen mit Behinderungen von Wahlen ausgeschlossen werden, ist inakzeptabel.“ Union und SPD trügen dafür die Verantwortung. „Konkrete Gesetzesinitiativen wurden von der großen Koalition ausgebremst. Die nächste Bundesregierung muss das Wahlrecht unbedingt reformieren.“ Die SPD-Fraktion hatte indes schon Anfang des Jahres ein Positionspapier vorgelegt, wonach auch sie Bundes- und Europawahlgesetz entsprechend ändern will.
Solche pauschalen Wahlausschlüsse seien nicht mehr zeitgemäß und mit keinem Argument zu rechtfertigen, sagte Bentele. Dass die Kommunikationsmöglichkeiten dieser Menschen mit den Behörden eingeschränkt seien, sei kein Grund. Es gebe heutzutage viele Unterstützungsmöglichkeiten für diese Kommunikation zwischen Staat und Bürger - wie die Kommunikation über sogenannte Leichte Sprache, über Bilder, über einfache Erklärstücke zu Parteien oder Kandidaten.
Hinter Wahlrechtsausschlüssen stehe ein Menschenbild, „das die UN-Behindertenrechtskonvention so nicht hat, das ich so nicht habe und das auch die Gesellschaft so nicht mehr hat“, sagte Bentele weiter. Und sie fügte hinzu: „In meinen Augen muss eine Demokratie aushalten, dass Menschen ihre Wahlentscheidung auf ganz unterschiedliche Weise treffen, egal wie und von wem sie unterstützt werden.“ Und sollte es tatsächlich zu einem Wahlbetrug kommen, seien keinesfalls diese Menschen mit Behinderung verantwortlich zu machen.