Studie zu CO2-Ausstoß Wahlkampf ohne Klimaschutz? Experten und Promis machen Druck

Berlin (dpa) - Gut zwei Wochen vor der Bundestagswahl mahnen Experten und Prominente mehr Einsatz für den Klimaschutz an, der im Wahlkampf eine zu kleine Rolle spiele. „Es gibt da eine Mauer des Schweigens und des Verdrängens“, sagte Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber heute in Berlin.

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Einer Studie zufolge dürfte Deutschland sein Klimaschutzziel 2020 noch deutlicher verpassen als gedacht. Arzt und Autor Eckart von Hirschhausen, Köchin Sarah Wiener und Ex-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth forderten mit anderen Prominenten einen neuen Generationenvertrag, der den Abschied von fossilen Brennstoffen wie Kohle und Öl bis 2040 einschließt.

Bis 2020 soll der Treibhausgas-Ausstoß Deutschlands um 40 Prozent unter dem Wert von 1990 liegen. Bisher sinkt er aber zu langsam, nach vorläufigen Zahlen stieg er 2016 sogar leicht an. Nun schlägt die Denkfabrik Agora Energiewende Alarm: Im Zieljahr würden wohl 50 Millionen Tonnen mehr CO2 in die Atmosphäre geblasen, als der sogenannte Projektionsbericht der Bundesregierung vorhersage. Gründe dafür seien etwa die gewachsene Bevölkerung, ein stärkeres Wirtschaftswachstum und der günstige Ölpreis.

Der CO2-Ausstoß sinke damit bis 2020 nur um 30 bis 31 Prozent. Im Projektionsbericht 2017 der Bundesregierung gehen Experten von einem Korridor zwischen 33,7 und 37,5 Prozent aus. „Hier muss die nächste Bundesregierung ganz schnell nachlegen, um wenigstens in die Nähe des Ziels zu kommen“, sagte der Direktor von Agora Energiewende, Patrick Graichen. Sonst drohe ein Verlust der klimapolitischen Glaubwürdigkeit Deutschlands.

Das Bundesumweltministerium ging zu dieser Prognose auf Distanz: Man teile die „äußerst negative Einschätzung“ nicht. Schon 2014 hat die Bundesregierung ein Aktionsprogramm beschlossen, weil sich abzeichnete, dass aus dem 2020-Ziel nichts wird. Wie es wirke, werde im neuen Klimaschutzbericht im Frühjahr dargelegt, teilte das Ministerium mit und verwies auf die „Strukturwandelkommission“, die sich ab 2018 unter anderem mit dem Kohleausstieg befassen soll. Zudem müssten die erneuerbaren Energien schneller ausgebaut und der Verkehr schneller auf elektrische Antriebe umgestellt werden.

Im Wahlkampf allerdings spielt Klimaschutz bisher höchstens regional eine größere Rolle, obwohl die Grünen versuchen, ihren Markenkern auf die Agenda zu setzen. Die Ökopartei kritisierte unter anderem nach dem TV-Duell von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, dass Klima nicht zur Sprache kam. „Die Bundesregierung liefert nicht, was sie im Pariser Klimaabkommen versprochen hat: Die klimaschädlichen Emissionen sind seit acht Jahren nicht gesunken“, sagte Grünen-Chef Cem Özdemir am Donnerstag.

Dabei liefern die Stürme „Harvey“ und „Irma“ dramatische Bilder. „Während die Folgen des Klimawandels in der Karibik wüten, verkommt der Schutz des Klimas im deutschen Wahlkampf zur Fußnote“, kritisierte Greenpeace-Experte Karsten Smid. Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) bekannte am Mittwochabend beim WWF, er leide „wie ein Hund“ darunter zu sehen, dass die Umweltpolitik „ein Stück weit aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden ist in den letzten vier Jahren.“ Das solle sich wieder ändern.

Der Potsdamer Klimaforscher Schellnhuber kritisierte eine „ungeheure Trägheit des politischen Betriebs“. Eine, drei oder fünf Katastrophen reichten offenbar nicht aus, „wahrscheinlich braucht es 20 im Jahr.“ Er gehört zu den ersten Unterzeichnern eines „Generationenmanifests“, das am Donnerstag vorgestellt wurde und unter anderem das Ziel hat, Generationengerechtigkeit im Grundgesetz zu verankern und damit einklagbar zu machen.

Umwelt- und Klimaschützer nahmen die Agora-Studie zum Anlass für Kritik an der Bundesregierung. „Das ist ein Zeugnis für die große Koalition: Klimaschutz: ungenügend“, sagte Michael Schäfer vom WWF. Sie solle ein „Weckruf“ sein, mahnte Christiane Averbeck von der Klima-Allianz Deutschland. „Viele Fragen sind bereits beantwortet und brauchen keine neuen Kommissionen, sondern politisches Handeln“, kommentierte der Deutsche Naturschutzring (DNR).

Was getan werden muss, mahnte Germanwatch an: „Zentral sind dabei ein sozialverträglicher Kohleausstieg bis 2035, ein Masterplan für die Verkehrswende und die Verdreifachung des Tempos bei der Gebäudesanierung“, sagte Geschäftsführer Christoph Bals. Oxfam-Experte Jan Kowalzig mahnte, es gehe hier nicht nur um ein paar Prozentpunkte. „Dürren, Überschwemmungen und Stürme verschärfen weltweit Hunger und Armut.“