Berliner Farbenspiele Welche Koalitionen sind nach der Wahl denkbar?
Berlin. Deutschland sucht eine neue Regierung: Am Wahlsonntag, 18.00 Uhr, haben Bürger und Parteien endlich Gewissheit. Nach den aktuellen Umfragen könnten lediglich eine neue große Koalition oder ein Jamaika-Bündnis eine ausreichende Mehrheit im Parlament haben.
Doch keiner weiß, ob die Demoskopen richtig liegen. Folgende Konstellationen sind denkbar, mit Risiken und Nebenwirkungen:
Es ist wie in vielen Beziehungen. Vier Jahre konnten sie ganz gut miteinander, nun aber haben sich Union und SPD auseinandergelebt. In der SPD gibt es viele, die eine erneute Groko als politischen Selbstmord betrachten. Eine frische Umfrage zeigt: Drei von vier Deutschen raten den Genossen, bei einer Pleite in die Opposition zu gehen, statt Angela Merkel erneut die Macht zu sichern. In der Union haben viele nicht vergessen, wie die SPD Ende Juni bei der Ehe für alle mit Linkspartei und Grünen gemeinsame Sache machte - für CDU und CSU war das quasi ein Koalitionsbruch. Kommt Jamaika (Union, FDP, Grüne) nicht zustande, könnte die SPD aber aus staatspolitischer Verantwortung in Versuchung geraten. Neuwahlen dürfte kaum jemand riskieren - die würden wohl nur der AfD in die Hände spielen. Koalitionsverhandlungen von Union und SPD könnten „doppelt so schwer wie 2013 werden“, wird in Unionskreisen erwartet. Die SPD-Spitze müsste einen enorm hohen Preis fordern, um die frustrierten Parteimitglieder noch einmal zu überzeugen.
Schwarz-Gelb-Grün, so wie die Jamaika-Flagge, beflügelt die Fantasie vieler Politiker. So ein Bündnis wäre im Bund eine Premiere - und auch in Merkels Koalitionsedition ein neues Sammelstück. Im Saarland war das erste Jamaika-Bündnis auf Landesebene im Januar 2012 geplatzt. Die aktuelle Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein, wo FDP und Grüne sich erstaunlich gut zusammenrauften, arbeitet erst seit ein paar Monaten. Als Vorbild für den Bund taugt das noch nicht. In der Union wird bezweifelt, ob ein möglicher Jamaika-Vertrag vor Weihnachten fertig wäre. Alte Verletzungen und inhaltliche Differenzen gibt es auf allen Seiten. Und was macht Horst Seehofer? Der CSU-Chef galt lange als „Grünen-Fresser“, 2018 wird in Bayern gewählt. Attacken dahoam auf die Grünen könnten unglaubwürdig wirken, wenn man in Berlin am Kabinettstisch sitzt. Aber Seehofer war schon immer pragmatisch. Dazu kommt: Das Verhältnis zwischen FDP und Grünen ist ziemlich angespannt, dabei mögen sich die Spitzenleute Christian Lindner und Cem Özdemir. Kohle-Ausstieg, Diesel-Zukunft, Datenschutz - mögliche Bruchstellen gibt es einige. Völlig unklar ist, ob der linke Grünen-Flügel Jamaika überhaupt mittragen würde. Als kleinster Partner, wie es Umfragen voraussagen, noch hinter der FDP dürfte das schwierig werden.
Sollten CDU, CSU und FDP am Wahlabend eine knappe Mehrheit der Sitze im Bundestag haben, könnte es mit der Regierungsbildung schnell gehen. Selbst bei nur wenigen Mandaten über der absoluten Mehrheit werde eine Siegerin Merkel kaum darum herumkommen, zügig mit der FDP zu verhandeln, heißt es in der Union. Die Begeisterung bei Merkel dürfte nicht gerade groß sein. Von 2009 bis 2013 beschimpften sich Union und FDP wechselseitig als „Wildsäue“ und „Gurkentruppe“, außerdem bringt das FDP-Personal kaum Regierungserfahrung mit. FDP-Chef Lindner will bei Griechenland und Euro Härte zeigen - für Merkel könnten dann wenige Abweichler zum Risiko werden.
CDU und CSU warnen seit jeher vor den roten Socken, einem „Linksbündnis“ als Schreckgespenst. Wer rechnen kann, braucht keine Angst zu haben. Rot-Rot-Grün kommt kaum über 40 Prozent. Als die Saarländer im Frühjahr dem Projekt „R2G“ die rote Karte zeigten, begrub SPD-Chef Martin Schulz diese Option eilig. Spätestens seit dem krawalligen Linken-Parteitag mit einer Anti-SPD-Rede von Frontfrau Sahra Wagenknecht ist Rot-Rot-Grün - zumindest aus Sicht der SPD-Spitze - vorerst mausetot.
Für ein Bündnis der SPD mit FDP und Grünen - wie es in Rheinland-Pfalz geräuschlos regiert - reicht es nach den Umfragen nicht. Da hilft es auch nicht, dass Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) zuletzt kräftig blinkte. Aber selbst wenn die Demoskopen sich irren sollten, die Schnittmengen zwischen der Lindner-FDP und der Schulz-SPD dürften für eine Zusammenarbeit zu klein sein.
Merkel hätte die Grünen wohl schon 2013 als Partner genommen - aber die Grünen trauten sich nicht und Schäuble wollte kein Geld herausrücken. Umfragen geben Schwarz-Grün aber gar nicht her. Das grüne Spitzenduo wirbt dennoch dafür, auch als Alternative zu Schwarz-Gelb. Özdemir plauderte live in der ARD mit Schäuble.
Bei den Farbenspielen werden die Blauen offiziell keine Rolle spielen - keiner will mit den Rechtspopulisten reden, geschweige denn regieren. Als Elefant im Raum wird die AfD aber bei vielen Gesprächen indirekt dabei sein - die künftige Regierung muss bei der Integration von Flüchtlingen und sozialen Fragen mehr tun, um Wut und Ohnmacht in der Bevölkerung zu mindern. Sollte die CDU so schwach abschneiden wie beim bislang schwächsten Merkel-Ergebnis von 33,8 Prozent (2009), dürfte der Unionsstreit über Merkels Verantwortung aufgrund ihrer Flüchtlingspolitik für das Erstarken der AfD wieder aufflammen. dpa