Koalition: Kampfhähne auf Kuschelkurs

CDU, CSU und FDP haben viele Streitfälle nur vertagt. Eindrucksvollstes Beispiel ist die Gesundheitspolitik.

Berlin. Montag Abend, bei der feierlichen Unterzeichnung des in 19 Tagen zusammengedachten Werkes auf 124 Seiten, wird Angela Merkel in der Hauptstadt-Zweigstelle Nordrhein-Westfalens wahrscheinlich wieder Sätze sagen wie diesen: dass der Vertrag von CDU, CSU und FDP das Ergebnis langen Ringens um die besten Ideen für unser Land sei.

Aber zunächst einmal nur ein Papier, das man gemeinsam mit Leben zu erfüllen habe. Und dass sie es gern hätte, wenn der Geist der Zusammenarbeit und der Entschlossenheit der Koalitionsverhandlungen auch der Geist der künftigen Bundesregierung werden könnte.

Horst Seehofer und Guido Westerwelle werden daneben stehen und sagen, dass es nun an der Zeit sei, sich in Verantwortung für die Menschen zur Gemeinsamkeit zu bekennen und damit aufzuhören, Strichlisten zu führen, welche Seite wo gewonnen und verloren habe. Dann wird der Füller gezückt - und ab Mittwoch schwarz-gelb regiert.

Wer die vergangenen drei Wochen bis zur Nervenschlacht in der Nacht zum Samstag bilanziert, als erst um 2.12 Uhr der Knoten durchgeschlagen war, wer die vielen Wasserstandsmeldungen mit dem Endergebnis abgleicht, dem tun sich Zweifel auf, in welche Richtung es denn tatsächlich gehen soll.

Besonders augenfällig wurden die Diskrepanzen bei der Präsentation des Vertragsentwurfes durch die Vorsitzenden von CDU, CSU und FDP vor der Bundespressekonferenz. Als gelte es die entbehrungsreichen Stunden gemeinsam verbrachter Lebenszeit krampfhaft in ein mildes Licht zu rücken, begaben sich ausgerechnet die Kampfhähne auf Pseudo-Kuschelkurs. Guido Westerwelle und Horst Seehofer, so erfahren wir, duzen sich seit dem Wochenende. An der dezent unterschiedlichen Kommentierung der wichtigsten Bruchstück-Kompromisse von Schwarz-Gelb ändert die kumpelhafte Tonlage gleichwohl nichts.

Eindrucksvollstes Beispiel: die Gesundheitspolitik. Jenes Minenfeld, auf dem sich künftig das Kabinett-Nesthäkchen Philipp Rösler (36) bewegen soll, ohne allzu schnell von den hier besonders militanten Interessengruppen zerrissen zu werden. Liberale lesen die Marschroute so: Ab 2011 will Schwarz-Gelb im Kern ein neues System abseits des geltenden Gesundheitsfonds anbahnen, das sehr an die einst von der CDU favorisierte Kopfpauschale erinnert. Kein Geringerer als CSU-Chef Horst Seehofer war 2004 wegen eben dieser Politik als Fraktions-Vize zurückgetreten. Und heute?

Seehofers grundsätzlich auf heiter gestimmte Mimik verdunkelte sich am Samstag, danach befragt, für einige Sekunden. Dann sagte er: "Bei der Gesundheit ändert sich erst einmal gar nichts." Eine Regierungskommission werde Vorschläge ausarbeiten. Guido Westerwelle atmete tief durch und skizzierte das Gegenteil. "Es ist wichtig, dass wir ein Gesundheitswesen bekommen, das freiheitlich, wettbewerblich und solidarisch ist." Angela Merkel nickte säuerlich und rückte die Dinge auf Merkel-Art zurecht: "Es gibt Gesamtdinge, für die die Bundeskanzlerin wesentlich die Verantwortung trägt."