„Nuklearen Teilhabe“ "Tornado" wird ausgemustert - Luftwaffe sucht neuen Atombomber
Die große Koalition hält am Nato-Konzept der „nuklearen Teilhabe“ fest: Die Bundeswehr setzt im Ernstfall auf Nato-Befehl Atombomben der USA ein. Der „Tornado“, der die Waffen tragen kann, wird 2025 ausgemustert.
Berlin/Cochem. Das Taktische Luftwaffengeschwader 33 von Kommodore Holger Radmann (48) hat einen ganz harmlos klingenden Auftrag: Es leistet „gemeinsam mit den verbündeten Streitkräften einen fortwährenden Beitrag für den Frieden Europas“. Dazu gehört, dass es die „Bewachung von US-Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland“ gewährleistet.
Worüber der Luftwaffen-Oberst, der vor drei Jahren das Kommando auf dem Luftwaffenstützpunkt Büchel bei Cochem in der Eifel übernommen hat, wie keiner seiner Vorgänger seit 1957 reden darf, ist der eigentliche Zweck des Geschwaders: Radmanns „Tornado“-Jets sind die Atombomber der Luftwaffe.
Und das ist das Problem. Denn der jüngste der verbliebenen 85 Tornados der Luftwaffe wurde 1992 gebaut und an die Bundeswehr ausgeliefert. 2025 sollen die Maschinen ausgemustert werden, deren Unterhalt von Jahr zu Jahr teurer und komplizierter wird. Um die Oldtimer einsatzbereit zu halten, führt die Luftwaffe bereits jetzt vor der „Ausphasung“ eine „Hochwertteilgewinnung“ aus den nicht mehr benötigten Maschinen durch.
Zu Deutsch: Radmanns Jets fliegen mit Ersatzteilen vom Schrott. Das wäre nicht nötig, wenn Deutschland sich entschlösse, aus dem Konzept der „nuklearen Teilhabe“ auszusteigen, das die Nato-Länder Belgien, Deutschland, Italien, Niederlande und die Türkei faktisch zu Atommächten macht — ohne dass diese Länder wirklich eigene Atomwaffen besäßen.
In der Praxis funktioniert das Konzept so: Neben dem Luftwaffengeschwader 33 ist auf der Air Base in Büchel auch die amerikanische „702nd Munitions Support Squadron“ stationiert. Die wartet und bewacht (vermutlich) 20 Atombomben des Typs B61, der seit 1968 in verschiedenen Varianten gebaut und immer wieder weiterentwickelt wurde. Im Nato-Kriegsfall würden die US-Bomben — bei Autorisierung durch den US-Präsidenten — von Piloten der „nuklearen Teilhaber“ mit eigenen Trägersystemen eingesetzt.
Dieses Konzept war immer schon umstritten, weil es — je nach Auslegung — ein geplanter Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag ist. Seit Angela Merkel 2005 erstmals Bundeskanzlerin wurde, wechseln die Ansichten ihrer Regierung zu diesem Thema.
Der erste schwarz-rote Koalitionsvertrag bekannte sich zur Wehrpflicht („Diese Dienstpflicht ist nach wie vor die beste Wehrform“) noch ebenso selbstverständlich wie zum Ziel einer strategischen Partnerschaft mit Russland und auch zum nur langfristigen Atomwaffenverzicht: „Wir halten an dem langfristigen Ziel der vollständigen Abschaffung aller Massenvernichtungswaffen fest. Wir setzen uns für nukleare Abrüstung und die Stärkung des internationalen Nichtverbreitungsregimes ein.“
Als Bundeskanzlerin Merkel 2009 mit der FDP eine schwarz-gelbe Regierung bildete, hieß es im Koalitionsvertrag feierlich: „Wir unterstützen mit Nachdruck die von US-Präsident Obama unterbreiteten Vorschläge für weitgehende neue Abrüstungsinitiativen — einschließlich des Zieles einer nuklearwaffenfreien Welt.“ Und ganz konkret: „In diesem Zusammenhang sowie im Zuge der Ausarbeitung eines strategischen Konzeptes der NATO werden wir uns im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten dafür einsetzen, dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden.“
Im Bundestag verabschiedeten CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne im März 2010 sogar ein gemeinsames Papier mit dem Titel „Deutschland muss deutliche Zeichen für eine Welt frei von Atomwaffen setzen“. Darin forderten die Parteien unter anderem, die Bundesregierung solle sich im Rahmen der Debatte über ein neues strategisches Konzept der Nato dafür einzusetzen, „die Rolle der Nuklearwaffen in der Nato-Strategie zurückzuführen sowie ihren Teil zur Verstärkung der Rüstungskontrolle und Förderung der nuklearen und konventionellen Abrüstung beizutragen“.
Davon war im zweiten schwarz-roten Koalitionsvertrag 2013 keine Rede mehr. Dort hieß es nun, gemeinsam mit den Nato-Partnern habe man sich auf dem Gipfel von Chicago zum Ziel gesetzt, die Bedingungen für eine Welt ohne Kernwaffen zu schaffen und bis dahin die Rolle von Nuklearwaffen zu reduzieren. Aber: „Solange Kernwaffen als Instrument der Abschreckung im strategischen Konzept der Nato eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben.“
Was das im Detail bedeutete, war dann 2016 noch einmal im Regierungs-„Weißbuch zur Sicherheitspolitik und Zukunft der Bundeswehr“ nachzulesen: „Solange nukleare Waffen ein Mittel militärischer Auseinandersetzungen sein können, besteht die Notwendigkeit zu nuklearer Abschreckung fort. Die strategischen Nuklearfähigkeiten der Allianz, insbesondere die der USA, sind der ultimative Garant der Sicherheit ihrer Mitglieder. Die Nato ist weiterhin ein nukleares Bündnis. Deutschland bleibt über die nukleare Teilhabe in die Nuklearpolitik und die diesbezüglichen Planungen der Allianz eingebunden. Dies geht einher mit dem Bekenntnis Deutschlands zu dem Ziel, die Bedingungen für eine nuklearwaffenfreie Welt zu schaffen. Die Allianz hat sich dieses im Strategischen Konzept von 2010 zu eigen gemacht.“
In einem Satz: Wenn Deutschland über den Einsatz von Nato-Atomwaffen mitentscheiden will, darf es aus der atomaren Teilhabe nicht aussteigen. Insofern sorgte Martin Schulz als SPD-Kanzlerkandidat im August 2017 für erhebliche Irritationen, als er gegen die Politik der „Groko“ bei einer Wahlkampfveranstaltung in Trier wörtlich erklärte: „Ich werde mich als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland dafür einsetzen, dass in Deutschland gelagerte Atomwaffen — und wenn sie in Rheinland-Pfalz gelagert sind, dann die in Rheinland-Pfalz gelagerten Atomwaffen — abgezogen werden.“
Davon blieb in den Koalitionsverhandlungen, die Schulz nach seiner Niederlage anführte, nichts übrig. Und so heißt auch im neuen, dritten Groko-Vertrag in der Amtszeit von Angela Merkel wieder: „Solange Kernwaffen als Instrument der Abschreckung im Strategischen Konzept der Nato eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben. Erfolgreiche Abrüstungsgespräche schaffen die Voraussetzung für einen Abzug der in Deutschland und Europa stationierten taktischen Nuklearwaffen.“
Die Fortsetzung der nuklearen Teilhabe wird für Deutschland ein teureres Vergnügen. Auch kann die künftige Bundesregierung kaum noch bestreiten, selbst Teil der sich wieder drehenden atomaren Rüstungsspirale zu sein. Nicht nur Russland heizt das gefährliche Wettrüsten mit neuen Raketen an. Die USA wollen ab 2019 eine neue Generation der Atombombe B61 in Büchel stationieren. Die „alten“ Büchel-Bomben der Typen B61-3 und B61-4 waren reine Abwurfwaffen: Nach dem Ausklinken schwebten sie an einem Fallschirm zur Erde. Von Zielgenauigkeit ließ sich bei einem Treffer-Radius von bis zu 300 Metern kaum sprechen.
Der neue Typ B61-12 verfügt nun jedoch über eine Nase voller GPS-Technik und steuerbare Heckflügel. Damit erhöht sich die Zielgenbauigkeit auf einen Radius von maximal 30 Metern. Hinzu kommt: Über die neue Abwurfvorrichtung AMAC (Aircraft Monitoring and Control system) kann der Pilot auswählen, ob die Bombe mit einer Sprengkraft von 0,3, 5, 10 oder 50 Kilotonnen explodieren soll und ob sie das bereits in der Luft oder erst beim Aufschlag tun soll. Zudem werden der B61-12 bunkerbrechende Eigenschaften zugeschrieben.
Aufgrund dieser Eigenschaften hat das russische Außenministerium den USA ein „gefährliches Spiel“ vorgeworfen: Flexible Atomwaffen mit geringer Sprengkraft senkten die Schwelle für einen Nukleareinsatz. Eindeutig seien sie kein Mittel der strategischen Abschreckung, sondern zum taktischen Gefechtseinsatz entwickelt worden. Dies können schnell „zu einem Krieg mit Atomraketen selbst bei Konflikten von geringer Intensität führen“, heißt es in Moskau.
Vermutlich in Vorbereitung auf die Umrüstung hat der Bund in Büchel bereits die Landbahn der Air Base für 120 Millionen Euro ertüchtigt. Im November ließ Luftwaffen-Inspekteur Generalleutnant Karl Müllner durchblicken, dass er als Nachfolger des Tornado-Atombombers gern das amerikanische Tarnkappen-Mehrzweckkampfflugzeug F-35 anschaffen würde. Das Verteidigungsministerium machte dagegen klar, dass man „primär das europäische Kampfflugzeug Eurofighter“ in Erwägung ziehe. Problem: Die B61-12 passt nicht unter den Eurofighter. Ein Umbau müsste dazu erst entwickelt werden.