Beruf Biografin: Lebensgeschichten schreiben

Mainz (dpa) - Eine Lebensgeschichte schreiben? Anja Otto hat das schon mehr als 50 Mal getan. Die Biografin bringt die Erzählungen der Menschen in Buchform - und lernt dabei die unterschiedlichsten Schicksale kennen.

Das Leben der anderen ist ihr Metier. Anja Otto schreibt Lebensgeschichten auf. Doch anders als in dem Film „Das Leben der Anderen“, in dem es um die Abhöraktionen der Stasi geht, plaudern Ottos Kunden absichtlich. Die 54-Jährige ist Biografin, sie bringt die Berichte der Menschen gegen Honorar in Buchform. Keine Arbeit für Nebenbei. „Man muss sich schon voll einbringen“, sagt die Mainzerin. 57 Biografien hat sie bereits verfasst.

Bis die Menschen ihre Lebensgeschichte in den Händen halten, gehen Monate ins Land. Zunächst gibt es fünf bis sechs Sitzungen, bei denen Otto den Auftraggeber interviewt. Die Begegnung sei die Hauptsache, sagt sie. Oft sprudeln die Erinnerungen wie von selbst, manchmal ermuntert oder leitet sie die Erzähler auch. Auf jeden Fall müsse sie gut zuhören und sich in die Welt ihres Gegenübers hineinversetzen können, sagt sie. „Wer nicht mit Menschen kann, nur Text gut bearbeiten kann, der wird nie eine gute Biografie von jemand anderem schreiben können.“

Die Aussagen werden abgeschrieben, dann poliert „Ghostwriterin“ Otto sie sprachlich auf. „Mir ist dabei wichtig, dass der Stil erhalten bleibt, der Humor, die Art, wie jemand etwas darstellt.“ Der Auftraggeber liest das in „Ich-Form“ verfasste Manuskript Korrektur, muss entscheiden, ob alles in seinem Sinn ist oder ob er beispielsweise doch zu offen war. Das kann dauern. „Im Idealfall sind wir in einem halben Jahr durch“, sagt Otto. Schneller geht es, wenn der Kunde bereits ein eigenes Manuskript vorlegt, das nur überarbeitet werden muss. Das ist bei etwa einem Drittel der Bücher der Fall.

Die Auftraggeber sind Winzer, Handwerker, Hausfrauen. Die Jüngste war 59, der Älteste 95. Was treibt sie? „Ganz wesentlich ist der Wunsch, etwas weitergeben zu wollen“, sagt Otto. Oft höre sie: „"Kinder und Enkel haben keine Zeit, und ich komme im Alltag nicht dazu, zu vermitteln, wie es früher war".“

Die Themen reichen vom Alltäglichen über Kurioses bis zum Schicksalsschlag. Da ist etwa der Mann, der im Zweiten Weltkrieg den Untergang des Flüchtlingsschiffes „Wilhelm Gustloff“ miterlebte und viele Tote sah. Oder die Frau, die ihre Zwillingsschwester bei einem Autounfall verlor, bei dem sie selbst am Steuer saß. In diesen Fällen gehe es - fast wie bei einer Therapie - um „ein Stück Verarbeitung“, sagt Otto. „Wenn man es sich von der Seele geschrieben hat, wird man eher damit fertig.“

Breiten Raum nimmt in vielen Berichten die eigene Jugend ein, es geht um Eltern und Großeltern, wie man den Ehepartner sowie Haus und Wohnung fand. „Das ist es, was auf der Seele liegt.“

Oft geht es nicht um Tragisches, sondern darum, „den Alltag im Kleinen gemeistert zu haben“, erklärt Otto. Da ist die ehemalige Putzfrau, der einst der Aufstieg ins Büro gelang, und die heute ihrem Sohn - einem Ortsbürgermeister - zeigen will, dass auch sie erfolgreich war. Oder eine Frau, die ohne Englischkenntnisse mit ihrem Mann auswanderte und sich in den USA eine Existenz aufbaute.

All das sei nicht schlagzeilenträchtig, „aber wenn Sie da eintauchen und sich das anhören - das ist schon faszinierend“, sagt die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin. Für die Angehörigen sei das „zehnmal interessanter als eine Biografie von irgendeinem Fernsehgesicht“. Denn wer wisse schon, wie der Opa zu seinem Beruf gekommen sei oder die Oma kennengelernt habe. Irgendwann könne man sie nicht mehr fragen, weil sie gestorben seien. Erfahrungen aus der eigenen Familie waren es, die 2002 dazu beitrugen, dass sie den Job als Dokumentarin bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ aufgab und sich als Biografin selbstständig machte.

Etwa 250 Biografen seien Schätzungen zufolge per Internet im deutschsprachigen Raum zu finden, sagt Andreas Mäckler vom „Biographiezentrum“, der „Vereinigung deutschsprachiger Biographinnen und Biographen“. Die Zahl nimmt seiner Ansicht nach zu. Mäckler glaubt aber nicht, dass Biografien im Trend liegen, schon immer hätten Menschen ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben. Ein Trend sei es aber, mittels Digitaldruck kleine Auflagen davon herzustellen und manche sogar in den Buchhandel zu bringen. Leben könnten aber schätzungsweise nur zwei Handvoll von der Arbeit.

Otto kann von der Arbeit leben, aber ein paar Rücklagen seien gut, sagt sie. Der Preis einer Biografie richtet sich nach dem Arbeitsaufwand und kann zwischen 1500 Euro und 3500 Euro liegen. Will sie später auch ihr eigenes Leben aufschreiben? „Schaden tut es sicher nicht“, sagt sie.