Der Mindestlohn: Segen und Fluch für Praktikanten
Hamburg (dpa) - Seit Jahresbeginn gibt es den Mindestlohn, von dem auch Praktikanten profitieren sollen. Doch das trifft nicht auf alle zu. Manche haben wegen der neuen Regelung sogar Nachteile.
Das Telefon klingelt. Die Projektleiterin von Daimler ist dran - und sie hat keine guten Nachrichten für Christin Dettmer. Die 22-Jährige kann ihr Praktikum in Stuttgart doch nur für drei Monate antreten. An diesen Moment erinnert sie sich noch genau. „Nach dem Vorstellungsgespräch im August hatte ich eigentlich die Zusage für mindestens fünf Monate“, sagt die Studentin aus Hamburg. Der Anruf kommt wenige Tage vor Beginn des Praktikums. „Für mich war das der große Schock. Ich musste kurzfristig vieles neu planen.“
Es sei sehr schwierig gewesen, für diesen kurzen Zeitraum eine Wohnung zu bekommen, erzählt sie. „Am Ende hatte ich Glück, dass ich überhaupt etwas gefunden habe.“ Die Projektleiterin habe die Situation mit dem gesetzlichen Mindestlohn begründet, der zum Jahresbeginn in Kraft getreten ist.
Die Bundesregierung hat ihn ausdrücklich auch für Praktikanten vorgesehen: Jeder von ihnen mit einer abgeschlossenen Ausbildung oder einem beendeten Studium muss nun einen Stundenlohn von mindestens 8,50 Euro bekommen. Praktikanten ohne abgeschlossene Ausbildung haben nur dann Anspruch auf den Mindestlohn, wenn ihr Praktikum länger dauert als drei Monate. Sogenannte Pflichtpraktika, die Hochschulen explizit vorschreiben, sind komplett ausgenommen.
Christin Dettmers Studiengang Business Management an den Hochschulen Fresenius und Mittweida in Hamburg sieht ein Pflichtpraktikum für drei Monate vor. Daimler hätte der 22-Jährigen für den ursprünglich vereinbarten Zeitraum von fünf Monaten also zumindest zwei Monate lang den Mindestlohn zahlen müssen.
Nach Angaben eines Daimler-Sprechers ist Dettmer eine der wenigen Ausnahmen. Es habe eine kurze Übergangsphase gegeben, in der das Thema Mindestlohn geprüft worden sei. Mittlerweile habe sich Daimler dazu entschlossen, weiterhin alle Arten von Praktika anzubieten - auch solche, die beispielsweise länger als drei Monate dauern. „Der jeweilige Fachbereich entscheidet am Ende nur nach fachlichen Kriterien, welche Praktikanten wir nehmen“, sagt der Sprecher.
Der Mindestlohn beschäftigt nicht nur Global Player wie Daimler. Auch kleinere Betriebe fragen sich, ob sie Praktikumsplätze künftig finanziell noch stemmen können. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) befürchtet, dass die Belastungen für die meisten Konzerne zu groß seien. Manche Unternehmen könnten freiwillige Praktika sogar komplett abschaffen - dabei hätten viele Studenten damit bislang wertvolle Berufserfahrung gesammelt, sagt ein BDA-Sprecher. „Praktika in die Mindestlohnregelung einzubeziehen, schadet der Praxisorientierung im Studium.“
Eine Sprecherin des Freien Zusammenschlusses von Studentenschaften (FZS) widerspricht. Dass Unternehmen wegen des Mindestlohns weniger Praktika anbieten könnten, sei reine Spekulationen, sagt sie. „Es ist Zeit geworden, dass der Mindestlohn auch für Praktikanten bezahlt wird. Enttäuschend sind allerdings die vielen Ausnahmen und Hintertüren.“
Das kritisiert auch die Verantwortliche für die Mindestlohnkampagne beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), Claudia Falk. „Für Pflichtpraktika, die im Rahmen von Studium und Ausbildung vorgeschrieben sind, halten wir die Ausnahme vom Mindestlohn noch für vertretbar - allerdings nicht für freiwillige Praktika.“