Studie Babys in Deutschland schreien weniger als in Großbritannien

Warwick (dpa) - In Ländern wie Deutschland und Dänemark schreien und quengeln Babys einer Studie zufolge im Mittel weniger als zum Beispiel in Großbritannien und Italien. Zu diesem Schluss kommt der Psychologe Dieter Wolke von der Universität Warwick nach der Analyse von Daten zum Schreiverhalten von fast 8700 Kindern in neun Industrie-Ländern.

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Über die Ursachen könne man nur spekulieren, schreibt sein Team im Fachblatt „The Journal of Pediatrics“. Ein möglicher Grund seien gesellschaftlich oder ökonomisch bedingte Unterschiede in der Fürsorge und der Betreuung von Neugeborenen.

Das Stresslevel der Mütter könne etwa aufgrund unterschiedlicher Mutterschutzregelungen und sozialer Unterstützung variieren, erläutern die Forscher. Denkbar seien prinzipiell auch genetische Faktoren - schließlich sei auch bei den Erwachsenen verschiedener Populationen bekannt, dass die einen im Mittel eher zurückhaltend und die anderen eher extrovertiert sind. Auch die Art der Fütterung könne Einfluss haben: Flaschenkinder wachten nachts zum Beispiel weniger oft auf als gestillte Babys, die Gesamt-Schreizeit vermindere sich dadurch in der 24-Stunden-Bilanz.

Hilfreich seien wohl körperlicher Kontakt sowie ein ruhiges Elternverhalten, bei dem nicht sofort eingegriffen, sondern zunächst kurz gewartet werde, ob der Säugling sich allein wieder beruhige, erklärte Wolke. Wichtig für Eltern zu wissen sei zudem: Etwa 40 Prozent des Schreiens in den ersten drei Lebensmonaten sei nicht beruhigbar. „Eltern denken oft, dass sie etwas falsch machen oder dass mit dem Baby etwas nicht in Ordnung ist, wenn sie es nicht gleich beruhigen können.“

Für die eigene Psyche sei es für Eltern wichtig zu wissen, wie viel ein normales Baby schreit. Selbst in Geburtsvorbereitungskursen werde darauf leider kaum eingegangen, sagte Wolke. In Elternratgebern sei oft beschrieben, dass man den Schreiton bei Hunger, Schmerz oder Langeweile unterscheiden könne. Das habe keinerlei wissenschaftliche Basis. „Man kann nur die Intensität unterscheiden.“

Die Studie der britischen Forscher beruht auf den Daten von 28 früheren Untersuchungen, für die über das Schreiverhalten von Babys in Fünf-Minuten-Intervallen Tagebuch geführt worden war. Der Abgleich der Ergebnisse ergab, dass Babys in den ersten zwei Lebenswochen im Mittel etwa zwei Stunden am Tag schreien oder wimmern. Sie steigern sich zu einem Hoch von zwei Stunden 15 Minuten täglich im Alter von sechs Wochen, wie die Forscher um Wolke schreiben. Mit zwölf Wochen seien es nur noch eine Stunde und 10 Minuten durchschnittlich.

„Eltern sind oft nicht darauf vorbereitet, wie viel Säuglinge in den ersten drei Monaten schreien oder wimmern“, sagte Wolke. Die individuellen Unterschiede seien dabei enorm - in den Untersuchungen seien sowohl Babys mit nur einer halben Stunde Schreien und Wimmern am Tag erfasst - aber auch solche mit insgesamt fünf Stunden.

Manchmal sind Eltern von schreienden Babys so überfordert, dass sie schwere Fehler machen. Eine ganz wichtige Erkenntnis sei, das in über 85 Prozent der Fälle eines Schüttelsyndroms exzessives Schreien der Auslöser für das Schütteln war, erklärte Wolke. Bei etwa 30 von 100 000 Babys komme es Studien zufolge wegen heftigen Schüttelns zur Krankenhauseinlieferung, meist gebe es schwerwiegende Folgen wie den Tod oder eine Behinderung des Kindes. „Daher sollten Sorgen von Eltern hinsichtlich des Schreiens ernstgenommen werden.“

Der Analyse zufolge lärmen im Mittel Babys in Großbritannien, Italien, Kanada und den Niederlanden mehr als die in Dänemark, Deutschland und Japan. In Deutschland sind es den berücksichtigten Daten zufolge bei einem ein bis zwei Wochen alten Baby im Mittel 69 Minuten täglich und bei einem drei bis vier Wochen alten Kind 81 Minuten. Für kanadische Babys wurde für das Alter von drei bis vier Wochen ein Mittelwert von 150 Minuten erfasst, ebenso für die Niederlande.

Auffällig sei auch eine geringere Kolik-Rate für drei bis vier Wochen alte Kinder in Deutschland (7 Prozent) und Dänemark (6 Prozent) verglichen mit Kanada (34 Prozent), Großbritannien (28 Prozent) und Italien (21 Prozent). Wie bei den Daten generell könne hier eine unterschiedliche Wahrnehmung der Mütter für die in den Tagebüchern erfassten Zeiten eine Rolle gespielt haben, schränken die Forscher die Aussagekraft der Ergebnisse ein.

Die Analyse belege einmal aufs Neue, wie groß die individuellen Unterschiede beim Schreien und Wimmern zwischen einzelnen Babys seien - und dass die Varianzen etwas ganz Normales seien, erklärt Wolke. Es sei sinnvoll, bei den Ländern mit besonders kurzen Schreizeiten genauer zu untersuchen, ob dies am elterlichen Verhalten oder anderen Faktoren wie Erfahrungen während der Schwangerschaft oder genetischen Voraussetzungen liege.