Alter Übergangsritus Experte: Junggesellenabschiede „musealisieren“ das Leben

Regensburg (dpa) - Junggesellenabschiede zählen in deutschen Fußgängerzonen beinahe zum täglichen Bild. Die einen finden es lustig, die anderen peinlich oder ärgerlich. Der Regensburger Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder erklärt im Interview, was es mit der Tradition auf sich hat.

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Wie ist dieser Brauch entstanden?

Gunther Hirschfelder: Es dreht sich ja um das, was man in der Kulturwissenschaft lange den Übergangsritus genannt hat. Also: der Abschied von der alten Lebensform und der Eintritt in eine neue Lebensform. Das waren bis in das 20. Jahrhundert hinein sehr stark Polterabend, Verlobung und Hochzeit. Das sind Dinge, die in der vormodernen, der bäuerlichen und bürgerlichen Gesellschaft eine große Rolle gespielt haben. Wo man gesagt hat, für Eheleute gehen bestimmte Dinge nicht, sonst wird das skandalisiert, christlicherseits und auch kulturell in hohem Maße sanktioniert. Und der Polterabend hat den Topos des sich Auslebens oder - eine fürchterliche Wendung - des sich die Hörner-Abstoßens.

Ist das heute auch noch so?

Gunther Hirschfelder: Ich habe den Eindruck, dass es nicht mehr darum geht, den Lebensübergang zu markieren, weil Leute, die heute heiraten, nachher nicht anders leben. Sie sind ohnehin in langen Paarbeziehungen und haben das Zusammenleben ausprobiert.

Die Hochzeit hat heute nicht mehr die Bedeutung wie früher?

Gunther Hirschfelder: Es ist eher ein Rechtsstatus. Kirchlich und juristisch - je nachdem aus welchem Kontext man kommt. Auch emotional, spirituell, religiös kann das durchaus eine Bedeutung haben. Das würde ich aber nicht überbewerten, weil sich alltagskulturell dadurch relativ wenig ändert. Wir haben in der Prüderie unserer Gesellschaft nicht die Situation, dass Leute, die fest liiert sind, eine größere sexuelle Freizügigkeit akzeptieren. Das wird nach wie vor als Vertrauensbruch bewertet. Größere Formen von Polyamorie bleiben eine Nische. Den Wendepunkt hierfür markiert das Aufkommen von Aids Mitte der 80er-Jahre. Da wurden Paarbeziehungen stabiler und verbindlicher - weil sich das gesellschaftliche Klima änderte, aber auch weil häufiger sexueller Partnerwechsel ein Gesundheitsrisiko darstellt.

Welche Rolle spielen die Freunde beim Junggesellenabschied?

Gunther Hirschfelder: In einer Phase der großen Mobilität und Digitalisierung von Gesellschaft bietet der Junggesellenabschied die Markierung eines Freundeskreises. Es ist ja schwierig heute bei den ganzen digitalen Freunden - wo man mit Leuten befreundet ist, mit denen man gar nicht befreundet ist - zu sagen: Wer bildet eigentlich den inneren Kern meines Sozialgefüges? Die Einladung zum Junggesellenabschied kann das dokumentieren, da habe ich eine stärkere Definition von Leuten, mit denen ich etwas erleben möchte und die ich dazu zähle.

Was ist noch wichtig?

Gunther Hirschfelder: Der Mensch braucht Markpunkte im Leben, um Zeit erfahrbar zu machen. Der Junggesellenabschied bietet sich hier an, weil andere Termine weggefallen sind. Für den Mehrteil unserer Gesellschaft sind Pfingsten, Christi Himmelfahrt oder der Siebenschläfertag keine markanten Punkte mehr, die das Jahr und somit auch das Leben in eine Ordnung bringen; wo man diesem natürlichen Jahresablauf ein kulturelles Ordnungssystem gegenüberstellt. Wir suchen uns neue Termine wie Halloween oder den Valentinstag. Der Junggesellenabschied ist an die Stelle von Verlobung und Polterabend getreten.

Warum ziehen die Gruppen gerne durch Innenstädte?

Gunther Hirschfelder: Wichtig ist die Visualisierung. Ereignisse werden von Menschen dann als besonders wertig wahrgenommen, bilden eine Vorlage für Narrative und sind memorierwürdig, wenn sie eine kurze Geschichte haben - die nicht so komplex ist wie Pfingsten oder Karfreitag - und wenn sie Bilder produzieren, die ich verschicken und archivieren kann. Der Mensch hat das Bedürfnis, sein Leben zu musealisieren. Das bedeutet beim Junggesellenabschied, dass er - indem er bewusst inszeniert wird - Bilder produziert, die die Biografie mitgestalten. Es geht um die Inszenierung der optischen Eigenheit der eigenen Person. Wir nennen das „Tendenzen einer Karnevalisierung unserer Gesellschaft“. Sie können Junggesellenabschiede schlecht bei einem Waldspaziergang an einem regnerischen Tag in der Provinz des Rheinlandes machen. Oder in einer Gaststätte im Industriegebiet. Ich will diesem Anlass eine Wertigkeit verleihen, indem ich ihn nicht nur vor besonderer Kulisse präsentiere, sondern auch vor historischer.

Warum soll sich der Bräutigam dabei lächerlich machen?

Gunther Hirschfelder: Ich würde eher sagen: Er exponiert sich. Ihm ist eine Hauptrolle zugewiesen. Echtes Lächerlichmachen ist das nicht. Die Junggesellenabschiede sind ja auch nach außen hin erkennbar. Das Publikum weiß, was auf es zukommt. Für eine Gesellschaft, die über die Maßen mit sexuellen Bildern aufgeladen ist, finde ich es jetzt nicht schlimm, wenn jemand mit einem Passanten ein Glas Schnaps zu trinken versucht oder jemandem ein Kondom verkaufen möchte.