Forschung „Happy Birthday“ zur Geburt: Kinder brauchen viele Wörter

Providence (dpa) - In einer bunt gemusterten Weste steckt ein kleines Aufnahmegerät, ein Wörter-Zähler. Mehr als 2400 Kinder in der US-Ostküstenstadt Providence im Bundesstaat Rhode Island haben so eine Weste bislang bekommen.

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So wurden immer wieder alle Wörter aufgenommen, die sie über einen ganzen Tag verteilt gehört haben. Mindestens 15 000, am besten aber um die 21 000 Wörter sollten Kinder unter drei Jahren Wissenschaftlern zufolge jeden Tag hören, damit sich ihr Gehirn optimal entwickeln kann. In Providence hätten einige der Aufnahmegeräte, gerade aus ärmeren Familien, am Ende eines Tages weniger als 6000 Wörter angezeigt, sagt Caitlin Molina.

Molina ist selbst Mutter eines kleinen Sohnes, Lehrerin und seit einigen Jahren Leiterin des Programms „ Providence Talks“. Gestartet 2014 mit rund fünf Millionen Dollar (4,2 Mio Euro) aus der Bloomberg-Stiftung soll das Programm den Kindern von Providence helfen, mehr zu hören, zu sprechen und sich so besser zu entwickeln. Bis Ende des Jahres sollen rund 2500 Kinder mitmachen.

Mithilfe der speziell für das Programm entwickelten Aufnahmegeräte, die Wörter und sogar Gesprächswendungen zählen können, wird der Fortschritt der Kinder immer wieder untersucht. Bei Hausbesuchen, in Spielgruppen oder teilnehmenden Kindertagesstätten wird der Prozess besprochen und ausgewertet. Für Fortschritte gibt es Sterne. „Bei mehr als zwei Dritteln der Familien hat sich die Zahl der Gespräche bedeutend erhöht“, sagt Molina. Im Durchschnitt wurde 2017 rund 74 Prozent mehr gesprochen. „Wir haben wirklich großartige Fortschritte gesehen.“

Das Ganze sei selbstverständlich in erster Linie für die Kinder gedacht - aber es helfe oft auch den Eltern. „Unsere Arbeit beginnt oft damit, dass wir erstmal anerkennen, wie schwer es ist, Eltern zu sein“, sagt Molina. „Alle kommen zu uns, weil sie das beste für ihr Kind wollen, aber später sagen die Eltern uns oft, wie viel es ihnen selbst gebracht hat.“ Auch einige gut ausgebildete Kinderbetreuer hätten erst durch die Aufnahmegeräte gemerkt, wie wenig sie eigentlich sprechen.

Die Aufnahmegeräte filtern alles heraus, was aus dem Fernsehen oder digitalen Geräten kommt. „Denn wir haben auch gemerkt: Sobald das Fernsehen an ist, wird weniger gesprochen.“

Mehr als ein paar Stunden am Tag fernsehen kann bei kleinen Kindern auch zu geringerer Schultauglichkeit führen, insbesondere bei Kindern aus ärmeren Familien, wie eine Studie der New York University ergab. Für die im „Journal of Developmental & Behavioral Pediatrics“ veröffentlichte Studie untersuchen Forscher um Andrew Riber 807 Kinder um die fünf Jahre. Ergebnis: Je mehr Fernsehen die Kinder schauten, insbesondere wenn es mehr als zwei Stunden am Tag waren, desto schlechter waren ihre Mathe-Kenntnisse und ihre kognitive Kontrolle. Je weniger die Eltern verdienten, desto deutlicher wurden die negativen Auswirkungen.

Auch viele andere Forscher weisen schon lange auf die Bedeutung der ersten Lebensjahre für die Entwicklung von Kindern hin - und geben Tipps für Eltern. „Kinder von Eltern, die mit ihnen im Alter zwischen eins und drei über Zahlen sprechen, sind später besser in Mathe“, sagt beispielsweise Elizabeth Gunderson von der Temple University, die darüber forscht. Am besten sei es, wenn die Nummern mit echten Objekten verbunden würden. „Drei Chicken Nuggets zu zählen ist besser, als beim Verstecken bis zehn zu zählen.“ Wichtig sei auch, nicht nur zu zählen, sondern auch die Gesamtmenge zu benennen. „Also beispielsweise ein, zwei, drei Hasen zählen und dann noch mal feststellen, dass es insgesamt drei Hasen sind. Kinder brauchen zwei Jahre, bis sie die Zählwörter mit der Gesamtmenge zusammenbringen können.“

Das Wort-Programm aus Providence soll ausgebaut werden. Bis zum Sommer 2018 sollen 500 neue Familien aufgenommen werden und bald soll das Programm auch auf andere Städte übertragen werden. „Es gibt riesengroßes Interesse“, sagt Leiterin Molina. Und auch ein ähnliches Programm wird in den USA gerade weiter verbreitet - allerdings für noch kleinere Kinder. Mit „ Talk With Me Baby“ solle Ärzten, Krankenschwestern und Eltern deutlich gemacht werden, wie wichtig es ist, schon mit ganz kleinen Babys zu sprechen, erklärt Mitgründerin Ashley Darcy Mahoney von der Emory University. „Wir sagen Krankenschwestern, dass sie mit dem Baby schon direkt nach der Geburt sprechen sollen. Sie können ihm zum Beispiel „Happy Birthday“ vorsingen und so merken, dass das ein ganz normales Verhalten ist.“