Jugendliteratur „Man traut sich heute mehr“ - neuer Realismus im Kinderbuch
München (dpa) - Ob Flüchtlingsströme oder Donald Trump - was die Welt der Großen bewegt, beschäftigt auch die Kleinen. Das führt zu mehr Realismus in den Büchern für Kinder und Jugendliche, sagt Christiane Raabe, Direktorin der Internationalen Jugendbibliothek in München.
„Die politisch brennenden Fragen zu Flucht und Migration werden aufgegriffen, auch zu Inklusion - Fragen, die uns alle beschäftigen, kommen auch in der Kinder- und Jugendliteratur vor“, erklärt Raabe im Hinblick auf den bundesweiten Vorlesetag am 18. November. Gerade Flucht sei ein Thema, das inzwischen sogar in Bilderbüchern angekommen sei. „Das ist ein sehr neues Phänomen.“ Früher hätten beunruhigende Themen den Nachwuchs nicht so leicht erreicht. „Das ist heute anders.“ Auch in der Erzählweise traue man sich mehr. Die Jugendbibliothek ist eigenen Angaben zufolge die weltweit größte für internationale Kinder- und Jugendliteratur. Der Vorlesetag findet seit 2004 jedes Jahr statt und ist eine Initiative der „Zeit“, der Stiftung Lesen und der Deutsche Bahn Stiftung. Ziel ist, „Begeisterung für das Lesen und Vorlesen zu wecken“.
Raabe meint, dass immer häufiger über Menschen auf der Flucht geschrieben wird, nicht nur in Deutschland, sondern auch beispielsweise in Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, den USA und Kanada. In Deutschland etwa hat ein deutsch-arabischsprachiges Werk der Autorin Kirsten Boie über zwei syrische Kinder wochenlang auf der Bestsellerliste gestanden, wie Raabe sagt. Eine Ausstellung der Internationalen Jugendbibliothek zu Flucht sowie zu Ausgrenzung und Rassismus habe bei den kleinen Lesern große Resonanz gefunden. „Das Interesse, darüber zu reden, ist wahnsinnig groß.“
Die Kinder bekämen die Probleme in der Welt und die Unsicherheit der Erwachsenen mit. So sei schon in Grundschulen über den Wahlsieg von Donald Trump bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen geredet worden. Kinder hätten über die Angst gesprochen, „jetzt kann sonstwas passieren.“ Literatur kann nach Ansicht der Direktorin eine Lücke füllen. „In den Familien wird nicht überall darüber gesprochen.“ Nicht nur Lesen, auch Vorlesen sei überaus wichtig. „Man sollte das nicht unterschätzen, das hat eine ganz starke emotionale Ebene.“
Die stilistischen Mittel bewegen sich Raabe zufolge heute oft an der Grenze zur Belletristik. So werde etwa in einem Buch über eine junge Autistin konsequent aus deren Perspektive erzählt. Früher dagegen hätten es literarische Kinder- und Jugendbücher schwer gehabt. Ein neues mit dem Erfolg des Fantasyhelden „Harry Potter“ vergleichbares Phänomen vermag Raabe nicht auszumachen. Einen kleinen Tipp hat sie aber doch noch: Die „Warrior Cats“, eine Reihe über verschiedene Katzen-Clans, haben für Raabe durchaus das Zeug zu mehr: „Ich könnte mir vorstellen, da kommt etwas, was Kultstatus erreicht.“