Mehr als ein Fehlstart: Gewalt in der ersten Liebe

Tübingen (dpa/tmn) - Der erste Kuss, die erste Verabredung, der erste Sex: In Beziehungen sammeln Jugendliche wichtige Erfahrungen. Problematisch wird es, wenn die negativ ausfallen. Manchmal zählen dazu körperliche Gewalt, in anderen Fällen Psychoterror.

Die erste Liebe sollte sich unbeschwert anfühlen, mit Schmetterlingen im Bauch und Glücksgefühlen. Doch viele Jugendliche sammeln ganz andere Erfahrungen. Statt sich in Liebesdingen behutsam vorzutasten, erleben viele Mädchen - aber auch Jungen - Gewalt in unterschiedlicher Form.

Beratungsstellen und andere Experten beobachten das Problem, das im englischsprachigen Raum als „Teen Dating Violence“ bezeichnet wird, schon seit einiger Zeit. Die Fachstelle mädchenstärkende Gewaltprävention in Tübingen beispielsweise sprach vor rund vier Jahren im Rahmen eines EU-Projekts mit Jugendlichen über häusliche Gewalt. „Es ging eigentlich um Gewalt zwischen den Erwachsenen“, sagt Diplom-Pädagogin Petra Sartingen. Doch dann erzählten mehrere Jugendliche unerwartet, dass sie in ihren eigenen Liebesbeziehungen mit Gleichaltrigen Gewalt erlebt hätten.

Das stellte auch die Wissenschaftlerin Barbara Krahé von der Universität Potsdam fest. Einer ihrer Studien zufolge erleben zahlreiche Mädchen und Jungen sexuelle Gewalt durch ihren Partner. Dazu zählen nicht nur erzwungener Geschlechtsverkehr, sondern auch unerwünschtes Küssen oder Anfassen. „Mehr als jede zehnte Jugendliche berichtete, von einem Partner durch verbalen Druck zu unfreiwilligen sexuellen Handlungen gebracht worden zu sein“, erklärt die Professorin für Psychologie. Mehr als 20 Prozent der männlichen Befragten gaben an, ihrer Partnerin gegenüber schon einmal sexuelle Gewalt angewendet zu haben.

Doch auch Jungen können Opfer von Gewalt sein, wie Krahé herausfand. 14 Prozent der Mädchen erklärten, in einer Beziehung selbst schon einmal sexuelle Gewalt ausgeübt zu haben.

Was Gewalt in Beziehungen ist, lässt sich nicht immer einfach definieren. „Es gibt Verhalten, das eindeutig rechtswidrig ist“, sagt Diplom-Pädagogin Sartingen, die sich bei dem Projekt Herzklopfen der beiden Tübinger Fachstellen „Tima“ und „Pfunzkerle“ seit Jahren mit dem Thema beschäftigt. Dazu gehöre zum Beispiel, jemanden brutal zu schlagen oder schwer zu beleidigen.

Nicht alles ist jedoch so eindeutig, es gibt Grauzonen. Bedenklich wird es laut Sartingen zum Beispiel, wenn Drohungen ausgesprochen werden, oft auf subtile Art und Weise. Hinzu kommen Situationen, die Jugendliche unterschiedlich bewerten: „Zum Beispiel findet es das eine Mädchen in Ordnung, wenn ihr Freund fünfmal am Tag anruft und fragt, was sie macht - ein anderes empfindet das als Kontrolle.“

Jugendliche sollten daher in sich hinein hören. Mache ich das nur, um dem oder der anderen zu gefallen? „Wo die eigenen Grenzen liegen, weiß jedes Mädchen und jeder Junge sehr genau“, glaubt Jutta Stiehler, Leiterin des Dr.-Sommer-Teams der Zeitschrift „Bravo“ in München.

Allerdings lernen viele Jugendliche laut Stiehler in der Familie nicht, dass ihr Nein Gültigkeit hat und akzeptiert wird. „Doch genau darauf kommt es an. Es ist für die meisten in einer Situation, wo der Freund oder die Freundin etwas möchte oder fordert, nicht einfach, klar und deutlich Nein zu sagen.“

Wer sich zu lange unter Druck setzen oder demütigen lasse, schade sich selbst am meisten. „Wenn mir immer wieder vermittelt oder gesagt wird, dass ich wertlos bin, dann glaube ich irgendwann daran“, sagt Sartingen. Das mache unsicher, auch in anderen Dingen, zum Beispiel in der Schule beim Referat halten oder wie man auf andere Menschen zugehe.