„Seid ratlos!“ Wie man Eltern von verstorbenen Kindern begegnet

Berlin (dpa/tmn) - Es ist nicht so vorgesehen und trotzdem passiert es: ein Kind stirbt. Eltern müssen Abschied nehmen vom Liebsten, das sie haben auf der Welt. Ihr Umfeld ist damit häufig völlig überfordert, sagt Heiner Melching.

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Der Sozialpädagoge hat jahrelang Trauergruppen geleitet und ist heute Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. „Freunde ziehen sich häufig zurück, weil sie nicht wissen, wie sie mit den verwaisten Eltern umgehen sollen.“

Aber wie begegnet man jemandem, dessen Schmerz und Gefühlswelt niemand nachempfinden kann, der nicht selbst schon einmal in so einer Situation war? „Die Antwort ist ganz einfach“, sagt Melching: „Seid so ratlos, wie ihr seid.“ Hingehen, im Zweifelsfall gar nichts sagen, nichts empfehlen, sondern die Katastrophe aushalten.

Dass die pure Präsenz eines anderen dem Trauernden gut tut, hat auch Karin Seidenschnur schon häufig erlebt. Die Seelsorgerin bietet Gespräche in Krankenhäusern und dem Kinderhospiz Sonnenhof der Björn-Schulz-Stiftung in Berlin an. „Ich sitze manchmal einfach nur da und spreche gar nicht.“ Oft genug sagt auch ihr Gegenüber nichts. „Später melden mir die Eltern dann aber zurück, es habe ihnen geholfen, dass ich da war.“

Für Menschen, die keine Erfahrung mit Trauernden haben, fühlt es sich vielleicht komisch an, keinen guten Rat auf Lager zu haben. Sie wollen etwas sagen, irgendwie trösten und dass es dem anderen besser geht. „Wir neigen dazu, nach Lösungen zu suchen“, erklärt Melching - Lösungen, die es für das Problem verwaister Eltern aber nicht gibt.

Wer helfen möchte, sollte das unbedingt aktiv anbieten. „Viele spielen den Ball an den Trauernden zurück“, ist Melchings Erfahrung. „Sie sagen: Ruf mich an, wenn du mich brauchst.“ Nur: Braucht ein Trauernder Unterstützung, wiegt der Telefonhörer 100 Kilo. Deshalb formuliert man besser umgekehrt: „Ich rufe dich am Montagabend an, und wenn du nicht reden möchtest, nimmst du einfach nicht ab.“

Was auch entlastet: Aufgaben abnehmen. „In den ersten Wochen nach dem Tod des Kindes hilft es ungemein, wenn zum Beispiel jemand für einen einkaufen geht.“ Im Supermarkt entstünden oft unangenehme Situationen, etwa, wenn andere noch nicht wissen, dass das Kind gestorben ist.

Vermeiden sollten Freunde und Bekannte gutes Zureden à la: „Das wird schon wieder.“ Denn so ist es ja nicht. „Auch Sprüche wie "Ich ahne, wie du dich fühlst" sind vollkommen unangemessen.“

Was verwaisten Eltern in der ersten Zeit allerdings manchmal helfe, sei, über ihr Kind zu sprechen. Auch Schuldgefühle spielen oft eine Rolle, sagt Seelsorgerin Seidenschnur. „Fast jeder, der ein Kind verloren hat, fragt sich, ob er nicht doch noch irgendetwas hätte tun können.“ Manche zweifeln auch, ob sie zum Beispiel in der Schwangerschaft alles richtig gemacht haben - etwa, wenn das Kind einen Gendefekt hatte. „Natürlich ist das Quatsch, aber gegen solche Gedanken kommen Eltern nicht an.“

Offenheit sei generell meist der beste Weg im Umgang mit Trauernden. Statt sich aus Sorge, das Falsche zu tun, zurückzuziehen, können Freunde ruhig ganz offen fragen, was dem anderen jetzt gut tut: Möchte er über sein verstorbenes Kind sprechen? Über die letzten Tage? Oder möchte er lieber abgelenkt oder komplett in Ruhe gelassen werden? In der Regel wüssten Trauernde ziemlich genau, was sie brauchen, sagt Melching.

In der ersten Zeit nach dem Tod ihres Kindes haben verwaiste Familien häufig noch recht viel Besuch, es kommen Karten, ab und an ruft auch jemand an. „Nach und nach hört das auf“, ist Seidenschnurs Erfahrung. Was aber nicht aufhört, ist der Schmerz. Freunde, die bleiben, sollten wissen, dass das so ist. „Trauernde Eltern bekommen immer wieder zu hören: "Das ist doch jetzt schon Jahre her."“ Ja, möchte sie dann gern antworten, aber das Kind ist immer noch tot.

„Trauer ist so individuell wie die Liebe“, fasst Melching zusammen. „Wir akzeptieren, dass es für die Liebe keine Anleitung gibt, Trauer aber wollen wir in Phasen einteilen und Rezepte gegen sie entwickeln.“ Ein sinnloses Unterfangen. „Wir müssen hinnehmen, dass manche Wunden nicht heilen.“