Abwasser-Bescheide gekippt - Was können Bürger nun tun?

Potsdam (dpa) - Die rückwirkenden Beitragsbescheide für Anschlüsse an die Kanalisation in Brandenburg sind durch höchstrichterliche Entscheidungen gekippt worden. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) folgte in der vergangenen Woche einem entsprechenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts.

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Doch je nach Kommune wurde das Eintreiben der Beiträge unterschiedlich behandelt.

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Wie viele Bürger sind grundsätzlich von dem Urteil betroffen?

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Nach Einschätzung der Freien Wähler, die dieses Thema seit Jahren verfolgen, haben etwa eine Viertelmillion Grundstückseigentümer rückwirkende Bescheide für alte Anschlüsse bekommen. Andere Schätzungen gehen von 150 000 Betroffenen aus. Im Schnitt liegen die Forderungen der Verbände bei gut 3000 Euro, bei großen Grundstücken geht es aber auch um fünfstellige oder gar sechsstellige Summen.

Seit wann wurden die Bescheide an die Bürger verschickt?

Insbesondere seit 2010 verschickten die Zweckverbände diese Bescheide, um ihre großen Investitionen ins Kanalnetz und Kläranlagen zu refinanzieren. Da wurden Beiträge von Bürgern gefordert, die Anschlüsse schon vor der Wende gelegt hatten, den sogenannten Altanschließern. Aber auch für mehr als ein Jahrzehnt zurückliegende Anschlüsse in den 1990er Jahren gab es Nachforderungen. In einigen Gemeinden Brandenburgs, wie in der Landeshauptstadt Potsdam, gibt es dieses Problem nicht: Dort werden die Investitionen nach dem Verbrauch über Gebühren finanziert.

Welche Bescheide sind nun rechtswidrig?

Nicht nur die geforderten Beiträge für Anschlüsse aus DDR-Zeiten, sondern auch rückwirkende Bescheide für Anschlüsse in den 1990er Jahren sind rechtswidrig, urteilte das Oberverwaltungsgericht. Denn für die Bescheide gelte eine Verjährungsfrist von vier Jahren nach erfolgtem Anschluss. Dies änderte sich aus Sicht des OVG erst mit einer Gesetzesänderung im Jahr 2004, mit der die Verjährungsfrist faktisch bis Ende 2015 verlängert wurde.

Bekommen die Bürger ihr Geld automatisch zurück?

Das OVG ist einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts gefolgt, das Mitte Dezember zwei Beispielfälle aus Cottbus als verfassungswidrig eingestuft hatte. Da der Beschluss bindend für alle Behörden ist, bekommt jeder, der Widerspruch eingelegt und gegebenenfalls geklagt hat, automatisch sein Geld zurück.

Wer Widerspruch eingelegt, aber gegen dessen Ablehnung nicht geklagt hat, muss bis zum 17. März unter Verweis auf die geänderte Rechtslage einen Antrag auf Aufhebung des Bescheids stellen.

Dasselbe gelte für Bürger, die ohne Widerspruch gezahlt hätten, sagt der Rechtsanwalt und Landtagsabgeordnete Péter Vida von den Freien Wählern. „Nach Paragraf 51 des Verwaltungsverfahrensgesetzes können sich die Bürger darauf berufen, dass sich die Rechtslage grundlegend geändert und die Behörde daher das Verfahren neu aufzugreifen hat.“ Aus Sicht des OVG haben diese Bürger hingegen keinen Rechtsanspruch auf Rückerstattung, weil ihre Bescheide bestandskräftig geworden seien.

Was bedeutet dies für die Wasserverbände und Kommunen?

Nach Einschätzung des Städte- und Gemeindebundes beläuft sich der Schaden durch Rückerstattungen und Gebührenausfälle auf bis zu einer halben Milliarde Euro. Die Freien Wähler gehen sogar von 800 Millionen Euro aus. Das könnte viele Kommunen überfordern, warnte der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Karl-Ludwig Böttcher. „Das bringt die Wasserver- und -entsorgung in Gefahr.“ Daher fordert er wie die Opposition im Landtag, das Land müsse den Verbänden finanziell helfen.

Was sagt das zuständige Innenministerium dazu?

„Das ist Sache der Verbände, sie haben die Satzungen und Bescheide erstellt“, erklärt der stellvertretende Ministeriumssprecher Wolfgang Brandt kategorisch. Das Urteil des OVG habe klar gezeigt, dass es um die Satzungen zur Erhebung der Beiträge gehe. „Die Verbände müssen nun auch erst einmal ihre Aufstellungen machen - bislang haben wir die Zahlen noch nicht.“