Ein Weindetektiv auf der Suche nach den Reben der Zukunft
Würzburg (dpa) - Silvaner und Riesling kennt jeder - aber Vogelfränkisch oder die Putzscheere? Als Nischenprodukte liegen alte Rebsorten im Trend. Und auch bei bekannten Sorten stöbert Josef Engelhart neue Variationen auf - das könnte Winzern beim Klimawandel helfen.
Der unscheinbare Weinberg in einem Tal in Rottendorf bei Würzburg versteckt eine echte Rarität. In den etwas krummen Rebzeilen, gepflanzt im Jahr 1901, finden sich fünf Stöcke der Putzscheere, einer seltenen alten Rebsorte. „Das ist das einzige Vorkommen in Franken“, sagt Josef Engelhart von der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG).
Der 54-Jährige ist Rebsorten-Experte. Manche nennen ihn auch einen „Weindetektiv“. Denn Engelhart durchstreift im Sommer alte Weinberge, auf der Suche nach vergessenen Sorten und unbekannten Varianten von Silvaner und Co. Sie sollen Winzern unter anderem helfen, mit den Folgen des Klimawandels umzugehen. LWG-Weinbau-Chef Hermann Kolesch spricht davon, das „Genreservoir Reben“ zu nutzen.
Beispiel Silvaner: Während im modernen Weinbau der ertragssichere grüne Silvaner dominiert, gibt es in alten Weinbergen noch viele andere Varianten. Engelhart sucht dort Rebstöcke, die gute Eigenschaften vorweisen, vermehrt und beobachtet sie - in der Fachsprache heißt das Klonselektion.
„Wir brauchen Reben, die mit dem Trockenstress, dem Wassermangel umgehen können und die sichere Aromatik unter heißen Bedingungen bringen“, betont Kolesch. Riesling zum Beispiel sei anfällig gegenüber Starkregen in der Lese - Riesling-Varianten mit härterer Schale wären da ein Fortschritt. Und beim Silvaner sei lange vor allem auf einen hohen Ertrag gezüchtet worden. „Deshalb wurde fast nur der grüne Silvaner angebaut, weil er die meisten Beeren pro Traube brachte“, erläutert Engelhart.
Doch wegen steigender Temperaturen müssten die fränkischen Winzer inzwischen ausdünnen: Sie schneiden einen Teil der Trauben weg, damit die verbliebenen mehr Nährstoffe bekommen und so die Qualität steigt. Nun wachsen auf einigen Versuchsflächen wieder Reben des ertragsschwächeren gelben Silvaners. Und zwei neue Klone des grünen Silvaners mit weniger Beeren hat das LWG-Team bereits beim Bundessortenamt eintragen lassen.
In den nächsten Wochen geht Engelhart wieder auf die Suche. Dann sind die Reben weit genug entwickelt, um sie an ihren Blättern und Trauben klar unterscheiden zu können. „Ich habe schon eine Liste, welche Weinberge ich noch nicht besucht habe“, erzählt er. Denn die Schätze finden sich nicht in den modern bewirtschafteten großen Lagen, sondern vor allem in alten Weinbergen mit knorrigen Rebstöcken, die Winzer im Nebenerwerb oder als Hobby bewirtschaften - und die sich dem Trend zur Sortenreinheit verweigert haben. Dort habe sich genetische Vielfalt erhalten, erzählt Engelhart.
So wie im Weinberg von Peter Vogel in Rottendorf, der noch einen sogenannten gemischten Satz hat. Früher wuchs der Wein üblicherweise querbeet: Auf jedem Weinberg pflanzten die Winzer verschiedene Sorten nebeneinander. Dann setzte sich aber der sortenreine Anbau durch, und im Kampf gegen die Reblausplage wurden viele Weinberge gerodet.
Der Rebsortenkundler Andreas Jung durchsuchte vor einigen Jahren im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums systematisch historische Weinberge und entdeckte mehr als 200 alte Sorten. Auch einige fast vergessene Reben könnten nun wieder als Wein im Glas landen. Bei der LWG wächst aktuell versuchsweise die Rebe Vogelfränkisch. „Die hat ganz kleine, sehr süße Beeren. Die Vögel sind sehr scharf drauf“, sagt Engelhart. In diesem Jahr soll daraus erstmals Wein gemacht werden - dann lässt sich vielleicht schon besser abschätzen, ob sich ein größerer Anbau lohnen könnte.
Die alten Rebsorten wieder in den Blick zu nehmen, liege im Moment in gewisser Weise im Trend, erklärt Professor Ernst-Heinrich Rühl vom Institut für Rebenzüchtung der Hochschule Geisenheim. „Das ist nicht wahnsinnig neu, die Züchter haben das eigentlich schon immer gemacht. Es findet derzeit aber verstärkt Beachtung“, sagt er. „Diese alten Sorten sind meist sehr widerstandsfähig, oft vielleicht auch anpassungsfähiger, sie haben sich ja an dem Standort gehalten über viele Jahrhunderte.“ Gepflanzt würden sie dann aber doch eher selten. In der Praxis sind sie nach wie vor ein Nischenthema.