Messies müssen ihr inneres Chaos strukturieren
Lüneburg (dpa/tmn) - Ihre Unordnung ist mehr als Schlamperei: Messies haben das Gefühl, in ihrem Leben unterzugehen. Sie wollen aufräumen, schaffen es aber nicht. Entrümpelungskommandos helfen nicht.
Experten raten zu einer Kombi aus Verhaltens- und Psychotherapie.
Janice Pinnow aus Lüneburg ist ein Messie. In ihrer Wohnung herrschte jahrelang Chaos - Körbe mit ungebügelter Wäsche hier, zusammenbrechende Regale dort. Von dem Messie-Syndrom erfuhr die Vorsitzende des Landesverbandes der Messies im norddeutschen Raum in einem Zeitungsbericht: „Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Das bin ich, und ich bin damit nicht alleine.“ Selbsthilfegruppen schätzen die Zahl der Messies in Deutschland auf etwa zwei Millionen.
„Messies sammeln in der Regel unbrauchbare Dinge, können diese nicht wegwerfen und verlieren schließlich den Überblick darüber“, sagt Prof. Alfred Pritz von der Sigmund-Freud-Universität in Wien. Der Diplom-Psychologe Werner Gross aus Offenbach fasst das Syndrom weiter und spricht von einer Desorganisationsproblematik. „Messies haben Schwierigkeiten damit, ihren Alltag räumlich und zeitlich zu strukturieren.“
Messies wollen aufräumen, können aber nicht. „Hinter ihrem Verhalten steckt also keine Faulheit“, sagt Pritz. „Im Beruf vollbringen sie oftmals große Leistungen, aber mit den kleinen Aufgaben des Alltags sind sie völlig überfordert.“ Allerdings wird nur eine Minderheit der Betroffenen zu schlimmen Vermüllungsfällen, die das Endstadium des Syndroms bilden. „Die Wohnungen der Betroffenen werden unbewohnbar“, sagt Gross.
Häufig sei das Messie-Syndrom Teil anderer psychischer Störungen wie einer Psychose. „Viele Messies sind zudem depressiv“, erläutert Pritz. Süchte und Zwangserkrankungen gehen oft mit dem Syndrom einher. „Grundsätzlich stellt das Messie-Syndrom aber ein eigenes Krankheitsbild dar.“ Wann wird Unordnung also krankhaft? „Sie wird dann problematisch, wenn sie den sozialen Lebenskontext der Betroffenen so einengt, dass sie daran leiden“, erklärt Pritz.
Messies leiden vor allem an ihrer sozialen Isolation. „Aus Scham laden sie niemanden zu sich ein und lehnen Einladungen ab“, sagt Pinnow. Ihre Kontakte reißen ab, und die Messies vereinsamen. Zudem entwickeln viele Betroffene Verschleierungstaktiken. „Viele sind elegant gekleidet und sehr gepflegt. Manche haben sogar mehrere Wohnungen oder leben in ihrem Auto, weil zu Hause kein Platz mehr für sie selbst ist.“ Eine solche Fassade aufrechtzuerhalten, ist eine zusätzliche Belastung.
Die Ursachen sind noch nicht wissenschaftlich geklärt. Häufig wird es mit Bindungsstörungen erklärt. Ihre Trennungs- und Verlustängste versuchen Messies damit zu kompensieren, dass sie emotionale Beziehungen zu ihren angesammelten Gegenständen aufbauen. „Die Sachen können ihnen nicht wehtun: Sie laufen nicht weg und können nicht enttäuschen, was Messies ein Gefühl von Sicherheit gibt“, sagt Pinnow.
Eine Therapie von Messies sollte sich aber nicht allein auf eine Verhaltenstherapie beschränken. „Das würde die emotionale Seite des Problems völlig ausblenden und hätte nur kurzfristigen Erfolg“, sagt Gross. An einer Psychotherapie führe kein Weg vorbei. „Wichtig ist, dass die äußere Verhaltensänderung langfristig zu einer Umstrukturierung des inneren Chaos führt.“ Gemeinsam mit dem Betroffenen könne man einen Bereich aussuchen, der nicht mehr vollgemüllt werden darf, und diesen dann Schritt für Schritt auf die gesamte Wohnung ausdehnen.
Literatur:
Rehberger, Rainer: Messies - Sucht und Zwang. Klett-Cotta, 249 S., 24,95 Euro, ISBN-13: 978-3-608-89049-5
Ritter, Thomas: Endlich aufgeräumt! Der Weg aus der zwanghaften Unordnung. Rowohlt, 128 S., 8,95 Euro, ISBN-13: 978-3-499-61591-7